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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Hand weg und legte sie wieder auf den Bauch: Hier, fühl mal.
    Das da?
    Ja.
    Das ist er, wirklich?
    Seine langen Finger wanderten vorsichtig über ihren Bauch. Seit er mit ihr im Schuppen geschlafen hatte, seit er wieder bei ihr und Adam eingezogen war, hatte er nicht mehr mit ihr schlafen können, und sie hatte ihn nicht bedrängt, auch ihr war das ganz recht gewesen.
    Was ist das hier?
    Ein Knie, vielleicht ein Ellbogen.
    Wie werde ich ihn je lieben können? dachte er verzweifelt.
    Manchmal weiß ich nicht, ob ich genug Liebe für ihn haben werde, sagte sie. Adam füllt mich so aus, dass ich gar nicht weiß, wo ich in meinem Herzen noch Platz für ein weiteres Kind finden soll.
    Er bewegt sich …
    Die ganze Zeit. Er lässt mich nicht schlafen.
    Der ist kräftig, was?
    So voller Leben.
    Sie redeten behutsam. All die Monate der Schwangerschaft hatten sie sich diese einfachen Dinge nicht gesagt. Nur mit Adam sprachen sie über »das Kind im Bauch« und formulierten dann ihre Annahmen. Wenn sie allein waren, sprachen sie kaum über ihn, und der Geburtstermin war vor neun Tagen gewesen.
    Im Grunde, dachte Ilan – das dachte er in der letzten Zeit täglich–, liegt jetzt ein kleiner Avram mit uns im Bett, klein, konzentriert und verdichtet, ab jetzt wird er immer mit uns zusammensein, nicht nur als Schatten, an den haben wir uns schon mehr oder weniger gewöhnt, sondern wirklich ein kleiner Avram, lebendig, mit Avrams Bewegungen, seinem Gang, vielleicht sogar mit seinem Gesicht.
    Dein Vater, dachte Ora zu dem Kind, das in ihrem Bauch schwamm, und führte, ohne es zu merken, Ilans Hand in Kreisbewegungen über ihren Bauch, dein Vater hat mir mal erzählt, er habe sich mit zwölf Jahren geschworen, dass jeder Moment seines Lebens voller Spannung, Aufregung und Bedeutung sein werde, und ich habe versucht, ihm zu erklären, dass das unmöglich sei, es gebe kein Leben, das nur aus Gipfeln und Höhepunkten besteht, und er sagte: Wieso, schau, meins wird so sein.
    Wir beide waren ganz verrückt nach Jazz, erinnerte sich Ilan und lächelte Oras Nacken an, wir sind in die »Barbaren-Bar« in Tel Aviv gefahren, um Aharele Kaminsky und Mamelo, den Griechen, zu hören, und im Bus zurück nach Jerusalem saßen wir immer auf der letzten Bank und haben die ganze Session in Scat-Gesang nachgeahmt und die Leute damit genervt, aber uns war das egal.
    Dein Vater war schon sechzehn, als ich ihn kennengelernt habe, sann Ora nach, bald werd ich vielleicht erfahren, wie er als Kind gewesen ist.
    So lagen sie eine lange Zeit aneinandergeschmiegt und redeten im Stillen zu Ofer.

    Eines Tages, als er etwa fünf war – schreibt Ora in das blaue Heft –, hörte Ofer auf, uns »Papa« und »Mama« zu nennen, und fing an, Ilan und Ora zu sagen. Mich hat das nicht gestört, es hat mir sogar gefallen. Aber ich sah, dass es Ilan sehr aufbrachte. Ofer fragte: »Warum darf ich euch nicht beim Vornamen nennen, wenn ihr das mit mir macht?« Da antwortete Ilan ihm etwas, was ich heute noch weiß: »Ich habe doch nur zwei Menschen auf der Welt, die mich Papa nennen können. Weißt du, wie toll das für mich ist? Und du auch, überleg doch mal, gibt es denn so viele Leute, die du Papa nennen kannst? Da gibt es nicht viele, oder? Willst du darauf wirklich verzichten?« Ich sah, wie Ofer ihm zuhörte und dass ihm das gefiel. Seitdem hat er ihn nur noch »Papa« genannt.
    Was schreibst du? fragt Avram und stützt sich auf einen Ellbogen.
    Hast du mich erschreckt. Ich dachte, du schläfst. Siehst du mich schon lange an?
    Dreißig oder vierzig Jahre.
    Tatsächlich? Das hab ich nicht gemerkt.
    Also, was hast du geschrieben?
    Sie liest es ihm vor. Er hört mit gesenktem Kopf zu. Dann hebt er den Blick und sagt: Ist er mir ähnlich?
    Was?
    Ich frage.
    Ob er dir ähnlich ist?
    So beschreibt sie ihm zum ersten Mal, wie Ofer aussieht, in allen Details: Das braungebrannte, große, offene Gesicht, die blauen Augen mit dem ruhigen und doch eindringlichen Blick, die Augenbrauen so hell, dass du sie kaum siehst, so wie ihre in der Jugend; die breiten, etwas sommersprossigen Wangen und das leicht ironische Lächeln, das die Strenge der gewölbten Stirn widerlegt. Die Wörter sprudeln aus ihr hervor, und Avram nimmt jedes Wort direkt von ihren Lippen auf; ab und zu bewegt er seine Lippen, und sie sieht, er wiederholt ihre Worte im Stillen, versucht, sie sich anzueignen, da kam ihr zum ersten Mal der Gedanke, dass diese Worte erst wirklich sein Eigentum würden, wenn er sie

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