Eine Frau flieht vor einer Nachricht
selbst geschrieben hätte.
Ihr überquellender Redefluss macht sie verlegen, aber sie kann nicht aufhören, genau das muss sie jetzt tun, spürt sie, ihn in allen Einzelheiten beschreiben, vor allem seinen Körper. Jeder Wimper und jedem Fingernagel einen Namen geben, jedem Gesichtsausdruck, jeder Mund- oder Handbewegung und auch den Schatten, die zu den verschiedenen Tageszeiten auf sein Gesicht fallen, und allen seinen Stimmungen, den vielen Arten seines Lachens, seines Zorns und seines Staunens.Das ist es, dafür hat sie Avram mitgenommen, um all dem einen Namen zu geben und ihm Ofers Lebensgeschichte zu erzählen, die Geschichte seines Körpers und seiner Seele, und alles, was ihm widerfahren ist. Moment mal, unterbricht sie sich und streckt den Zeigefinger hoch, woran erinnere ich mich da gerade? – ihre Finger klimpern in der Luft, versuchen etwas Undeutliches zu fassen –, irgendwas von dir kam mir gerade in den Sinn, was war das?
Natürlich, ruft sie, du hattest früher mal so eine Idee, du wolltest eine Geschichte schreiben, das war beim Militär, unmittelbar bevor du die Geschichte über das Ende der Welt angefangen hast, weißt du noch?
Über den Körper, sagt er erst lächelnd, dann verächtlich grinsend, macht sie sofort klein und unwichtig, wischt sie vom Tisch.
Du wolltest, Ora lässt ihn nicht so leicht entkommen, eine Autobiographie schreiben, jedes Kapitel über ein anderes Glied deines Körpers …
Ein Autobiomembrum, ja, völliger Quatsch …Und das Kapitel über deine Zunge hast du mich lesen lassen, weißt du noch?
Er macht mit beiden Händen eine abwehrende Bewegung. Lass gut sein, so ein Stuss.
Entsetzlich war das, sagt sie, eine Verleumdung war das, keine Autobiographie. Ich sag dir, Avram, wenn du mal einen Zeugen brauchst, der über deinen Charakter aussagt, dann solltest du nicht dich dazu laden.
Er lacht ein unangenehmes, unaufrichtiges Lachen, als wolle er sie beschwichtigen, ohne wirklich auf seinen Standpunkt zu verzichten. Etwas von einem Schakal zieht durch seine Augen, erinnert sie daran, wie verschroben und grausam er zu sich selbst sein konnte, wenn ein böser Geist in ihn fuhr. Und plötzlich sehnt sie sich so sehr nach ihm, unerträglich ist dieses Begehren, scharf und brennend das Verlangen, nach ihm, in seiner Vielzahl.
Und er sagt: Schau uns an, schon zwei alte Leute.
Und sie: Dass wir bloß nicht alt werden, bevor wir erwachsen sind.
Er schaut sie lange an, als lese er ihre Gedanken. Sein Blick ist fest und merkwürdig, bar jeder bösen Absicht. Im Gegenteil, sie spürt, dass er in diesem Moment nur Gutes und Weiches für sie empfindet.
Sag mal …
Was ist?
Kann ich mich dir ein bisschen anschließen?
Wobei?
Ach nichts, lass es.
Warte, warte! Du meinst …
Nein, nur wenn du …
Aber du … Warte, jetzt?
Nein?
Ihr Körper beginnt im Schlafsack zu zappeln. Du meinst, wir …
Er bejaht mit den Augen.
Bei mir oder bei dir?
Avram schält sich aus seinem Schlafsack und steht auf. Sie öffnet den Reißverschluss und breitet die Arme aus, komm, komm, sag gar nichts, komm schon, ich dachte, wir würden nie mehr im Leben. Und er kommt, der geballte alte Avram, und lässt sich neben ihr nieder, ihre Körper sind hart und stammeln, sie sind in zu viele Schichten aus Kleidern und Verlegenheit gehüllt, und ihre Hände stottern, stoßen aneinander, zucken zurück, es geht nicht, man sieht gleich, das ist es nicht, das ist ein Fehler, sie dürfen da überhaupt nicht mehr hin, und sie hat auch Angst, was passiert, wenn sie Ofer plötzlich für einen Moment vergessen würde, ob er dann ungeschützt wäre, und sie weiß genau, was Avram durch den Kopf geht – der Täter kehrt an den Tatort zurück, das denkt er gerade in seinem verschrobenen Hirn. Überleg nicht, keucht sie in sein Ohr, denk an gar nichts, sie legt ihre Hände auf seine Schläfen, Avram ist auf ihr, seine schweren Knochen, sein Fleisch, mit gewaltiger Kraft stößt er seinen Körper in sie hinein, als müsse er in sich selbst einen Weg bahnen, bevor er zu ihr durchbricht, aber auch sie ist noch nicht so weit, warte, warte, und sie nimmt ihren Mund von seinen suchenden Lippen, warte, du zerquetschst mich.
Für einen Moment sind sie wie zwei, die in ein zufälliges Gespräch geraten sind und versuchen, sich zu erinnern, nicht wer ihr Gegenüber ist, sondern wer sie selbst sind, doch hinter einem Knopf, der geöffnet, einer Schnalle, die gelöst wird, strömen ihre Gerüche langsam hervor, ihre
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