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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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und Wonne gemurmelt und sich völlig dem Gurren-danach hingegeben, und dabei ist es ihr einfach rausgerutscht.
    Am zweiten Tag des Krieges, oder am dritten, das weiß ich nicht mehr.
    Avram setzt sich mit einem Ruck auf. Sein nackter Körper ist noch weich und feucht: Nein, das kann nicht sein. Da war der Kanal nicht mehr in unserer Hand, sagt er, sucht in ihrem Gesicht nach Zeichen, und ihr schwindelt von der Süße ihres Körpers, der noch zuckt und doch schon verlassen wurde.
    Die Ägypter waren schon überall, Ora, was erzählst du da?
    Aber wir hatten doch noch ein paar Posten.
    Ja, aber zu denen kam keiner mehr durch, die Ägypter waren schon zwanzig Kilometer tief eingedrungen. Woher hast du das?
    Sie dreht sich von ihm weg und rollt sich ein, flucht über ihre sagenhafte Dummheit. Einundzwanzig Jahre hab ich damit gewartet – warum ausgerechnet jetzt?
    Hey, sagt er, Ora?
    Gleich.
    Sie hat den Moment verspielt. Ausgerechnet diesen Moment. Welcher Teufel hat sie geritten, das kaputtzumachen? Aber miteinander zu schlafen, sagt sie sich mehrmals mit Nachdruck, das war so gut! Und auch das Beste, was wir für Ofer tun konnten. Bereu das jetzt bloß nicht, Avram. Bange dreht sie sich zu ihm um, und ihr Mut sinkt, denn er hat genau diesen Gesichtsausdruck wie nach ihrem letzten Mal, damals, als sie Ofer gemacht haben. Mit jeder Sekunde war ihm sein Gesicht mehr entglitten und leer geworden. Ich bereue es nicht, brummt er, aber du knallst mir hier plötzlich so eine Geschichte hin.
    Ich … Ich hatte nicht vor, dir das zu erzählen, es ist mir rausgerutscht.
    Aber was ist das für eine Geschichte?
    Er ist mit dem Wasserwagen von Babel runtergefahren, sagt sie, am zweiten oder dritten Tag; er hat einen Marschbefehl gefälscht und ist abgehauen. Er kam bis zum Abschnittskommando in Tasa. Von da aus ist er weitergetrampt, mit einem Jeep, wenn ich mich nicht täusche, mit einem kanadischen oder australischen Fernsehteam, ein Kameramann und ein Korrespondent, zwei völlig verrückte Typen, um die sechzig, zugedröhnt, so richtige Risiko- und Katastrophenfreaks. Aber was hat er sich dabei gedacht? bohrt es unaufhörlich in Avram, undOra gibt ihm ein Zeichen, warte, die sind dann mit ihrem Jeep mitten in der Wüste ohne Benzin steckengeblieben, und so ist er nachts zu Fuß ohne Landkarte losgezogen, und überall um ihn herum – na, du weißt ja.
    Nein, sagt Avram tonlos, erzähl mir.
    Was sie von Ilan in jenem Morgengrauen vor einundzwanzig Jahren gehört hatte, erzählt sie Avram jetzt, mit allen Details, sie erinnert sich ziemlich gut und führt die Geschichte endlich ihrer Bestimmung zu. Ilan ist losgelaufen. Aus Angst vor Straßen ging er nur neben kleinen Wegen im Sand, in dem er manchmal knietief versank. Immer wenn er ein Fahrzeug sah, hat er sich in den Sand geworfen und versteckt. Die ganze Nacht lief er da allein, vorbei an ausgebrannten Jeeps und Mannschaftstransportwagen, rauchenden Panzern und zerborstenen Benzinkanistern. Zweimal fuhren ägyptische Panzerwagen an ihm vorbei. Irgendwann hörte er einen verwundeten ägyptischen Soldaten weinen und um Hilfe rufen, hatte aber Angst, dass es eine Falle wäre, und ging nicht hin. Ab und zu lag da ein verkohlter Körper mit hochstehenden schwarzen Stümpfen, den Kopf mit aufgerissenem Mund nach hinten gebogen. In einer Düne steckte ein ausgebrannter Hubschrauber ohne Propeller, ob von uns oder von denen, war nicht zu erkennen. Drinnen saßen noch ein paar Soldaten, nach vorne gebeugt, als lauschten sie. Und er ging …
    Ging einfach, sagt sie, er wusste noch nicht mal, ob es die richtige Richtung war. Du fragst, was er sich dabei gedacht hat. Er hat nicht gedacht. Er ging, weil er ging, weil er wusste, dass du da irgendwo am Ende des Weges warst. Denn es war der reine Zufall, dass du dort warst und nicht er. Ich weiß nicht, aber ich glaube, ich hätte dasselbe getan. Du wahrscheinlich auch, keine Ahnung.
    Und genauso geht sie jetzt hier, denkt Avram und versucht, seinen immer stärker zitternden Körper unter Kontrolle zu kriegen. Sie geht, weil sie geht, weil Ofer dort ist, am Ende des Weges. Weil sie für sich beschlossen hat, dass sie ihn so retten kann, und davon wird keiner sie abbringen. Ich hätte das nicht getan, brummt er, kapselt sich ab vor dem, was sich über ihm zusammenbraut, vor ihrer Geschichte, die ihn immer enger umschließt – wenn Ilan dort gewesen wäre, ich wäre nicht zu ihm losgelaufen, ich wäre vor Angst gestorben.
    Auch du wärst zu

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