Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Erleuchtung auch Golda Meir, Begin und Schamir und Scharon und Netanjahu und Barak und Rabin und Schimon Peres auch, was denn, haben die denn kein Blut an den Händen? Haben die wirklich alles getan, damit sie hier mal fünf Minuten in Ruhe leben kann? Alle, die ihr Leben ruiniert haben, die jeden Moment ihres Lebens und ihre beiden Söhne einen nach dem anderen verstaatlichen;sie hört erst auf, als sie Ofers und Ilans Blicke bemerkt, wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und fragt wütend: Was? Ist was passiert? Als wären auch sie mit daran Schuld, doch sofort beruhigt sie sich, ist schon gut, ich hab mich bloß an etwas erinnert, was mich genervt hat, und sie gießt viel Öl an das Gemüse, streut schnell Salz und Pfeffer darüber, presst eine Zitrone aus und schiebt Ofer eine wunderschöne Schüssel Salat unter die Nase, ein Kaleidoskop aus Farben und Düften. Hier, Oferke, ein arabischer Salat, wie du ihn magst.
Ofer hebt die Augenbrauen – sein Kommentar zu ihrer sonderbaren Vorführung. Noch immer bewegt er sich langsam. Sein zerstreuter Blick fällt auf die Zeitung auf dem Tisch, wird gefangen, starrt auf eine Karikatur, versteht sie nicht, kennt den Zusammenhang nicht, er fragt, ob diese Woche etwas in den Nachrichten war, und Ilan berichtet ihm, und Ofer blättert schnell die Seiten durch. Es interessiert ihn nicht, denkt sie, das Land, das er da verteidigt, interessiert ihn nicht wirklich. Das beobachtet sie an ihm schon eine Weile: als sei in ihm der Kontakt zwischen dort, wo er sich die meiste Zeit befindet, und hier, zu Hause, unterbrochen. Wo ist der Sport, fragt er, Ilan rettet aus dem Zeitungshaufen für den Papiercontainer den Sportteil, und Ofer vertieft sich in die Seiten. Ora fragt vorsichtig, ob er dort Nachrichten höre, ob er mitverfolge, was im Land geschieht. Er zuckt müde, aber auch mit einem merkwürdigen Groll, eine Schulter: Diese ganzen Diskussionen von rechts und links, ana aaref, was weiß ich, wer hat noch einen Nerv dafür?
Er steht auf, lässt sich auf ein Knie hinunter, zieht den Reißverschluss des Rucksacks auf und packt aus. Sein Schädel erstaunt sie: dermaßen groß, so voller Stärke, ein komplexes Gebilde aus schweren, erwachsenen Knochen, und sie steht dabei und fragt sich, wann er sich so entwickelt hat und wie es möglich ist, dass dieser Kopf einmal aus ihr herausgekommen ist. Eine Welle von scharfem Gestank schlägt aus dem Rucksack und erfüllt den Raum. Ora und Ilan lachen verlegen. Der Gestank spricht Bände. Ora spürt, wenn sie sich auf diesen Geruch konzentrieren und ihn in seine Bestandteile zerlegen würde, wüsste sie genau, was Ofer in diesen Wochen widerfahren ist.
Als lese er ihre Gedanken, blickt er sie von unten herauf mit seinengroßen, von Müdigkeit matten Augen an. Einen Moment lang ist er wieder so jung, so darauf angewiesen, dass seine Mama ihn wortlos versteht. Was ist, Oferke, fragt sie leise, erschrocken über das, was auf dem Hintergrund seiner Pupillen vorbeihuscht und gleich wieder verschwindet. Nichts ist, antwortet er, wie es ihrer beider Tradition ist, und zwingt sich zu einem müden Lächeln. Wie in dem alten Kinderspiel: Schalom großer Herr und König ,/ denkt sie, Schalom meine lieben Söhne,/ wo seid ihr gewesen, was habt ihr gemacht?/ Wir waren in Hebron und haben/die Altstadt dort observiert/ und haben auf Kinder mit Steinen/unsre Gummikugeln geschossen./ Ich flehe dich an, hatte sie ihm vor etwa einem Jahr gesagt, noch bevor diese Sache in Hebron passiert war, vielleicht einen Monat vorher; du darfst niemals, wirklich niemals auf sie schießen. Was denn dann? hatte er sie mit einem halbschiefen Lächeln gefragt, war mit nacktem roten Oberkörper und einem dreckigen khakifarbenen Unterhemd in der Hand vor ihr herumgehüpft wie ein Matador, der vor einem Stier wegrennt, und hatte sich einige Male zu ihr heruntergebeugt und ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn oder auf die Wange gegeben – sag mir nur, was ich mit ihnen machen soll, Mama, sie gefährden Menschen, die auf der Straße fahren und die wir bewachen!
Jag ihnen Angst ein, sagte sie so besessen, als entwickle sie in diesem Moment eine neue Kampfdoktrin, gib ihnen Ohrfeigen, box, so fest du kannst, was du willst, nur schieß nicht! Wir zielen auf die Beine, erklärte er ruhig, mit jener etwas erheiterten Überlegenheit, die sie von Adam und Ilan, den Militärkommentatoren im Fernsehen, den Ministern der Regierung und dem Generalmajor des Militärs
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