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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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etwas, was du einfach noch nicht wissen kannst, dass nämlich …
    Ja bitte, was? Sie sah einen Funken von Belustigung in seinen Augen und zwang sich, nicht darauf zu reagieren; sie würde sich auf die Hauptsache konzentrieren: ihr Kind aus den Händen dieses brutalen Schlägers zu retten, der vor ihr stand.
    Dass du in fünf Jahren, was heißt in fünf? in einem Jahr! in einem Jahr, wenn du entlassen wirst, diese ganze Situation völlig anders einschätzen wirst! Du wirst sehen! Ich red jetzt gar nicht davon, ob das gerechtfertigt ist, ich rede nur davon, wie du eines Tages auf diese Zeit zurückblicken wirst …
    Sein Nasehochziehen ignorierte sie heldenhaft, auch das leichte Grinsen, das sich auf seinem Gesicht breitmachte. Du wirst dich bei mir noch bedanken, sagte sie hartnäckig – sie steckte ein bisschen fest,das merkten sie beide, sie steckte fest und suchte verzweifelt nach dem goldenen Argument, das ihr entglitten war –, du wirst sehen, du wirst dich noch bei mir bedanken!
    Wenn ich dann noch am Leben bin, um dir zu danken.
    So sprichst du nicht mit mir! kreischte sie mit rotem Kopf, ich vertrag diese Witze nicht, das weißt du ganz genau!
    Es waren Papas Witze, das wussten sie beide.
    Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen. Sie hatte geglaubt, die entscheidende logische Antwort gefunden zu haben, doch wie immer hatte sie den Faden verloren und alle Maschen waren ihr von der Nadel gerutscht, und so streckte sie nur die Hand nach ihm aus, hielt flehend seinen Arm und schaute zu ihm hoch, wie ein letztes Argument, im Grunde eine Bitte um Erbarmen, wenn nicht gar um Almosen: Versprich mir das, Ofer, dass du nicht versuchen wirst, jemanden mit Absicht zu erschießen. Und er schüttelte den Kopf, lächelte, zuckte mit den Schultern. Sorry, Mama, das ist Krieg.
    Sie hatten einander angeschaut, diese Fremdheit erschreckte sie. In ihr blitzte eine Erinnerung auf. Dasselbe kalte Brennen von Schrecken und Versagen wie vor fast dreißig Jahren, als sie ihr Avram wegnahmen, als sie ihr eigenes Leben enteigneten. Es war die alte Geschichte: Dieser Staat hatte seinen schweren Militärstiefel wieder einmal brutal da hingesetzt, wo er nichts zu suchen hatte.
    Mensch Mama, was ist denn in dich gefahren, nimm es doch nicht so schwer, lass gut sein. Er streckte den Arm aus, um sie an sich zu ziehen, und sie ließ sich verlocken, wie hätte sie sich eine Umarmung entgehen lassen können, die zudem noch von ihm ausging, und er zog sie sogar ganz an sich, bis sie auf dem Rücken sein Zeichen spürte, tack-tack-tack.
    Bei dieser ganzen Diskussion, erzählt sie Avram ohne ihn anzuschauen, hatte sie ein schlagendes Argument gehabt, das sie Ofer natürlich nicht sagte, weil sie es niemals würde verwenden dürfen. Was sie wirklich umtrieb, waren nicht, bei allem Respekt, die Augen oder Beine eines kleinen Palästinensers, sondern ihr klares Wissen, dass es nicht passieren durfte, dass Ofer einem Menschen etwas antat. Denn wenn das geschähe – selbst wenn er tausend gute Gründe dafür hätte, selbst wenn einer mit einem entsicherten Sprengsatz vor ihm stünde –,würde Ofers Leben danach kein Leben mehr sein. So einfach war das, da gab es nichts zu diskutieren, er würde kein Leben mehr haben.
    Aber als sie sich ein bisschen von ihm entfernt hatte, ihn anschaute und seinen gewaltigen Körper mit diesem Schädel sah, da war sie sich nicht mehr so sicher gewesen.

    In der Küche erzählt Ofer, er habe eine Woche keine Kleider zum Wechseln gehabt und auch nicht duschen können. Er redet abgehackt, bewegt kaum die Lippen. Ora und Ilan müssen sich sehr anstrengen, um auch nur einen Teil dessen, was er sagt, zu verstehen. Ora sieht, dass Ilan sich heimlich in Richtung Balkon entfernt, um ein Fenster zu öffnen, eine Tür zu schließen oder einfach nur einen Moment allein zu sein. Sie beugt sich über den feuchten, speckigen Haufen, der aus dem Rucksack quillt, und sortiert Uniformhosen und Hemden, starre Socken, einen Uniformgürtel, Unterhemden, Unterhosen. Sie nimmt den Wäscheklumpen auf den Arm, Sandkörner rieseln aus den Hosentaschen, eine verirrte Gewehrkugel, eine zerknitterte Streifenkarte für den Bus, sie stopft den Haufen in die Maschine und stellt ein aggressives Waschprogramm ein. Als sie das Geräusch der Maschine hört, als die Trommel sich zu drehen beginnt, spürt sie zum ersten Mal eine Erleichterung, als habe sie nun endlich den Prozess der Domestizierung dieses Fremden in Gang gesetzt …
    Der wieder an dem

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