Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Langsam entspinnt sich zwischen ihnen der Anfang eines einfachen Gesprächs, noch sind es nur Satzfetzen, dienur dazu dienen, Ofer ein paar Minuten Ruhe zu gönnen, um sich einzugewöhnen und die Welt, aus der er kommt, mit dieser hier zu verbinden, oder vielleicht, denkt sie, will er sie gerade voneinander trennen?
Dabei ist ihr völlig klar, erklärt sie Avram, dass sie und Ilan die Kräfte noch nicht einmal ahnen können, die er in diesen Momenten aufbringen muss, um seine andere Welt – von der sie nicht wissen wollen – zu verdrängen oder zumindest abzuschalten und nach Hause kommen zu können, ohne bei diesem Übergang zu verglühen. Ilan scheint in diesem Moment dasselbe durch den Kopf zu gehen, beide schauen sich kurz an: Auf ihren Gesichtern liegt noch der Freudenjubel, aber irgendwo, auf dem Grund ihrer Blicke, schrecken sie voreinander zurück, als seien sie beide an dieser Grausamkeit beteiligt.
Plötzlich steht Ofer auf, kratzt sich kräftig den rasierten Schädel und läuft langsam zwischen der Küche und der Essecke auf und ab, geht hin und her. Ilan und Ora verfolgen ihn aus den Augenwinkeln: Er ist nicht hier, das ist klar, er folgt vielmehr einer anderen Route in seinem Kopf. Sie konzentrieren sich aufs Brotschneiden und Braten. Ilan wird unruhig, schaltet das Radio ein und dreht es laut, die Stimmen des Mittagsjournals überfluten den Raum, Ofer kommt sofort zu sich und setzt sich wieder an den Tisch, als wäre er gar nicht aufgestanden. Eine junge Soldatin vom Checkpoint Jalame berichtet, wie sie an diesem Morgen einen siebzehnjährigen Palästinenser, der in seiner Hose Sprengstoff schmuggeln wollte, erwischt hat, und erwähnt lachend, ausgerechnet heute sei ihr Geburtstag. Sie ist neunzehn, herzlichen Glückwunsch, sagt die Moderatorin der Sendung, danke, danke, lacht die Soldatin, hätte mir kein schöneres Geburtstagsgeschenk denken können.
Ofer hört zu. Jalame gehört heute nicht mehr zu seinem Patrouillengebiet. Er hat da vor etwa eineinhalb Jahren gedient. Auch er hätte derjenige sein können, der den Sprengstoff findet. Oder der ihn nicht findet. Denn zu genau diesem Zweck steht er ja da, dass der Terrorist mit ihm hochgeht und nicht mit Zivilisten. Ora atmet angestrengt, spürt, dass da etwas anrollt. Sie zählt im Stillen die Namen der Checkpoints und Vorposten auf, bei denen er schon im Einsatz war. Chisme, Chalchul und Jabaa, was für hässliche Namen, denkt sie, und überhaupt,denkt sie und tritt von einem Bein aufs andere, dieses ganze Arabisch mit seinen rauhen und kehligen Lauten, wovon waren Ilan und Avram früher, erst auf dem Gymnasium und später dann beim Militär, nur so begeistert? Sie heizt sich selbst weiter an, wo doch fast jedes arabische Wort irgendwie mit einem Unglück zu tun hat, ist es nicht so? Und plötzlich schiebt sie Ilan zur Seite, pass doch auf, wie du schneidest, hast du vergessen, dass er die Scheiben ganz dünn mag? Deck lieber den Tisch, sei so gut! Ilan lächelt, hebt erstaunt und ergeben die Arme, und Ora macht sich über das Gemüse für den Salat her, schnappt sich das scharfe Messer, schwingt es in der Hand, lässt es niedersausen und zerhackt wütend Abed Elkadr el-Hussejni zusammen mit Hadj Amin el-Hussejni und Schukeiri und Numeiri und Ajatolah Chomejni und Arafat und die Hamas und Mohamad Abbas und die Ghaddafis mit ihren Skud-Raketen und Izz-el-din Al-Kassam samt ihren Kassamraketen und Gamal Abdel Nasser, alle miteinander metzelt sie nieder, Katjuschas und Intifadas und die »Brigaden der Gefallenen von« und die »Heiligen von« und die »Unterdrückten von« und Abu Jihad und all die anderen Abus, und Marwan Barguti auch und Jebalja und Jebalija und Jenin. Gott allein weiß, wo genau diese Orte liegen. Wenn sie wenigstens normale Namen hätten, seufzt sie, wenn wenigstens diese Namen etwas angenehmer klängen! Und mit der scharfen Klinge des Messers zerhackt sie Chan Junis und Scheich Munis und Dir Jassin und Scheich Jassin und Saddam Hussein, nur Probleme, vom ersten Moment an gab es mit denen nur Probleme, zischt sie zwischen zusammengebissenen Zähnen, und was ist mit Sabra und Schatila, was ist mit Al-Kuds und mit dem Nakba , mit dem Dschihad und den Schahiden und Allahu-Akhbar und Chaled Maschaal und Chafes Assad und Kozo Okamoto, auf sie alle lässt sie unterschiedslos das Messer niedersausen, auf dieses ganze Otterngezücht, und als Bakschisch gibt sie noch Baruch Goldstein dazu und Jigal Amir und in einem Moment der
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