Eine Frau flieht vor einer Nachricht
abwechselnd die Flamme darunter kleiner und wieder größer.
Nein, nein, das ist nur für uns, sagt sie und blinzelt zu Avram hinüber, zur Erinnerung an unsere Wanderung.
Ja sicher, sagt der Enkel und streckt die Beine auf der Matte von sich.
Wenn es Sie nicht stört, sagt Ora und zieht das blaue Heft heraus, schreibe ich auf, was Sie mir erzählen, sonst erinnere ich mich nachher nicht mehr. Schon hat sie einen Stift in der Hand, und ihr Blick schwenkt von dem Ältesten zu dem Jungen. Die Fragen sind kurz, schon versucht sie einen Rückzieher, will sich klein machen, den Moment des Fragens hinauszögern, spürt den metallenen Geschmack eines nahenden Fehlers, doch alle Blicke ruhen auf ihr, und sie hat keine andere Wahl: Also, die erste Frage, die lautet so: Was würden Sie am meisten …
Vielleicht lieber nicht, unterbricht sie der Großvater, lächelt breit und legt seine schwere Hand auf die Schulter des Sängers. Aber vielleicht noch ein Stückchen Melone?
Alle drei Wochen kam er für ein langes Wochenende nach Hause, beginnt Ora am nächsten Tag und nimmt den Faden wieder auf, der am Mittag des Vortags auf dem Gipfel des Deborah Berges abgerissen war. Sie erinnert sich, wie sie sich schon in der Tür mit gleichsam unstillbarem Hunger auf ihn gestürzt hatte; sein riesiger Rucksack, den er abgenommen hatte, versperrt den Eingang, und Ora versucht mit beiden Händen, ihn etwas zu verschieben, gibt es aber schnell auf: Junge, Junge, dann pack mal aus, alles gleich in die Wäsche, ich taue Fleischklopse für dich auf, das Steak machen wir dann heut Abend, und ich hab auch eine neue Bolognese gemacht, die du probieren musst, Papa ist ganz verrückt danach, vielleicht schmeckt sie dir auch, und es gibt gefüllte Paprika und gleich auch einen leckeren Salat; und heut Abend machen wir dann ein richtig großes Essen. Ilan, ruft sie, Ofer ist da!
Sie zieht sich in die Küche zurück, überwältigt von kreatürlicher Freude, wenn sie könnte, sie würde ihn auch jetzt, in seinem Alter, noch ablecken und ihm alles abklauben, was an ihm haftet, ihm den Geruch seiner Kindheit, den sie in ihren Nasenlöchern, ihrem Mundund ihrem Speichel bewahrt hat, zurückgeben. Eine Welle der Wärme rollt von ihr zu ihm, und ohne sich überhaupt zu bewegen, geht Ofer ein bisschen auf Distanz, verschließt sich, sie spürt es nicht nur, sie hat gewusst, dass es passieren würde, diese kleine, schnelle Bewegung der Seele, die sie von Ilan und Adam, von allen ihren Männern schon kannte, wenn sie sich vor ihrer Flut abschotteten, sich ein ums andere Mal vor ihr verschlossen und sie mit ihrer Weichheit zappeln ließen, so dass sie schlagartig zu einer Karikatur wurde.
Doch sie wird diese Kränkung nicht hochkochen lassen, nicht jetzt, und da kommt auch schon Ilan aus seinem Arbeitszimmer, nimmt die Brille ab und umarmt ihn herzlich, aber mit Maßen. Er nimmt sich mit ihm in Acht. Wange berührt Wange. Jetzt hör endlich auf zu wachsen, rügt er ihn. Und Ofer stößt ein müdes, blasses Lachen aus. Ilan und sie bewegen sich in einer merkwürdigen Mischung aus Freude und Vorsicht um ihn herum. Also, wie steht’s bei der Truppe? Alles okay, und zu Hause? Nicht schlecht, nach und nach wirst du alles erfahren. Wieso, ist was passiert? Nein, was kann schon passiert sein, alles beim Alten. Willst du nicht erstmal duschen? Nein, später.
Sogar von der stinkenden Uniform trennt er sich nur widerwillig, wie auch von dem Dreck, der an ihm klebt und ihn vielleicht ein bisschen schützt, nimmt sie an. Drei Wochen nicht im Camp, sondern dauernd im Einsatz: Patrouillen, Wartung des Panzers, Checkpoints, Hinterhalte. Sein Geruch ist gewaltig. Seine Finger sind rauh, mit vielen Wunden, seine Nägel schwarz, die Lippen sehen immer aus, als bluteten sie. Sein Blick ist zerstreut. Sie sieht das Haus mit seinen Augen. Die Sauberkeit, die Symmetrie der Teppiche, die Bilder an den Wänden, der schmucke Kleinkram, er kann kaum glauben, dass es irgendwo auf der Welt eine derart liebevolle Sorgfalt gibt. Die ist für ihn kaum zu ertragen. Als sie zu Ilan schaut, spürt sie plötzlich sehr genau, dass Ilan sich selbst jetzt mit Ofers Augen ansieht, wie er so ganz und gar unbekümmert als Zivilist lebt, dermaßen entmilitarisiert, dass es schon fast ein Verbrechen ist. Und Ilan verschränkt die Arme vor der Brust, reckt das Kinn vor und brummt etwas vor sich hin.
Ofer setzt sich an den Küchentisch, hält den Kopf in den Händen, die Augen fallen ihm fast zu.
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