Eine Frau flieht vor einer Nachricht
hatte sich zum Schluss zu denen gesellt, die auf sie pinkelten. Bei all ihren gemeinsamen Fahrten mit Sami, bei den unvorhersehbaren kleinen Herausforderungen, den misstrauischen Blicken, mit denen man ihn manchmal beäugte, den beiläufigen, unsäglich schamlosen Bemerkungen von den herzlichsten und aufgeklärtesten Menschen, denen sie begegneten, bei all den Fragen zu ihrer Identität, die der Alltag ihnen aufgab und auf die jeder von ihnen eine andere Antwort hatte, war zwischen ihnen ein stilles gegenseitiges Vertrauen gewachsen, wie man es etwa gegenüber seinem Tanzpartner bei einem komplizierten Tanz empfindet oder bei einem schwierigen akrobatischen Kunststück, wenn man weiß, er wird einen nicht enttäuschen, seine Hand wird im entscheidenden Moment nicht zittern, und auch er wusste, dass sie ihn nie im Leben um etwas bitten würde, um das man ihn unter keinen Umständen bitten darf.
Aber heute hatte sie versagt und auch ihn dazu gebracht zu versagen. Sie hatte es erst gemerkt, als es schon zu spät gewesen war, als er ihr eilig, wie gewohnt, die Wagentür aufmachte und plötzlich Ofer sah, der in Uniform und mit Waffe die Eingangstreppe herunterkam, Ofer, den er von Geburt an kannte, Sami hatte doch sie und Ilan aus dem Krankenhausabgeholt, als sie ihn nach Hause brachten, Ilan hatte Angst gehabt, an diesem Tag selbst zu fahren, er sagte, seine Hände würden zittern, und auf der Heimfahrt erzählte Sami, bei ihm habe das Leben erst wirklich angefangen, als Jussra, seine älteste Tochter, zur Welt gekommen sei – damals hatte er nur eine, danach bekam er zwei Söhne und dann noch zwei Töchter, fünf demographische Probleme habe ich, erzählte er lachend und strahlend jedem, der ihn fragte –, und bei jener Fahrt hatte Ora bemerkt, wie er den Wagen besonders vorsichtig um die Schlaglöcher lenkte, um Ofer nicht zu erschüttern, der auf ihrem Schoß schlief. Später dann, als die Jungs in der Innenstadt zur Schule gingen, fuhr Sami für die Fahrgemeinschaft, die sie für fünf Kinder aus Zur Hadassa und Ejn Karem organisiert hatte; und jedes Mal, wenn Ilan im Ausland war, sprang er für kleine und größere Fahrten ein, in manchen Jahren war er ein untrennbarer Teil der Familie gewesen, und als Adam schon groß war, aber noch keinen Führerschein hatte, brachte Sami ihn freitagabends von seinen Unternehmungen in der Stadt nach Hause; in späteren Jahren schloss Ofer sich Adam an, beide riefen Sami aus einem Pub in der Stadt an, und er kam um jede Zeit aus Abu Gosh angefahren, behauptete, auch wenn es schon drei Uhr morgens war, nicht geschlafen zu haben, und wartete draußen auf Adam, Ofer und deren Freunde, bis die sich bequemten herauszukommen, er hatte vermutlich auch ihre Geschichten gehört, ihre Erlebnisse vom Wehrdienst – wer weiß, was er da alles mitbekommen hat, erschrickt sie plötzlich, wenn sie angetrunken auch über ihre Erlebnisse an den Straßensperren ihre Witze rissen. Er hatte sie in den verschiedenen Stadtvierteln abgesetzt. Und jetzt setzt er Ofer zu einem Einsatz in Jenin oder Sichem ab, und ausgerechnet dieses kleine Detail hatte sie vergessen ihm zu sagen, als sie ihn morgens anrief. Sami hatte schnell begriffen, und ihr war das Herz in die Hose gerutscht, als sie sah, wie sein Gesicht sich verdunkelte und sein Blick sofort, in einer Mischung aus Zorn und Niederlage, verlosch, auf einen Blick hatte er alles kapiert – sie erinnerte sich, Sami hatte Ofer in Uniform und mit Waffe die Treppe runterkommen sehen und verstanden, dass Ora ihn jetzt darum bat, seinen bescheidenen Beitrag zur Kriegsanstrengung Israels zu leisten.
Wie eine Bö voller Staub legte sich der Ruß des Feuers, das in ihm entflammt und sofort gelöscht worden war, auf seine dunkle Haut. Dastand er und rührte sich nicht, sah aus, als habe man ihn ins Gesicht geschlagen. Als habe sie sich selbst vor ihn hingestellt, ihn fröhlich und freundschaftlich in ihrer entgegenkommenden Art angelächelt und ihn dann mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen. Einen blitzartigen Moment lang standen sie alle drei am Pranger: Ofer oben auf der Treppe, die Waffe über der Schulter baumelnd, das Magazin mit Gummis befestigt, sie mit ihrer blöden, dämlichen lila Wildledertasche, die zu elegant und für so eine Fahrt sogar abstoßend war, und Sami, der, ohne sich vom Fleck zu rühren, immer mehr zusammenschrumpfte, als fließe alles aus ihm heraus.
Wie alt ist er in diesen Jahren geworden, dachte sie jetzt; als sie ihn
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