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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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wenn es Imitat sei, und er lachte, nein, für dich ist dasbestimmt arabischer Geschmack, stimmt’s? Ora horchte auf, da klang ein ihr bisher unbekannter Vorwurf in seiner Stimme, und sie sagte vorsichtig, dass auch er, soweit sie sich erinnere, bisher noch nie so etwas auf die Sitze getan habe. Er sagte, er fände sie aber schön, und seinen Geschmack könne man eben nicht ändern. Ora reagierte nicht. Sie nahm an, dass er einen schweren Tag gehabt hatte, vielleicht hatte ein Fahrgast ihn beleidigt, vielleicht hatten sie ihn an einer Straßensperre wieder angepinkelt. Irgendwie hatten sie sich beide aus dem Trübsinn herausgewunden, der einen Moment lang im Taxi herrschte, doch den ganzen Tag hatte diese Bedrückung in ihr weitergenagt, und erst am Abend, vor dem Fernsehen, kam ihr die Idee, dass sein neuer Geschmack in Sachen Sitzbezüge vielleicht mit der Gruppe von Siedlern zusammenhing, die geplant hatten, bei einer Schule in Ostjerusalem eine Autobombe hochgehen zu lassen. Sie waren vor ein paar Tagen geschnappt worden, und einer von ihnen hatte im Fernsehen beschrieben, wie sie den Wagen außen und innen auf »arabischen Geschmack« getrimmt hatten.
    Jetzt wurde das Schweigen im Taxi noch dichter. Ora spürte wieder den Drang zu reden, und sie sprach von ihrem Vater und ihrer Sehnsucht nach ihm, und von ihrer Mutter, die schon nicht mehr zwischen rechts und links unterscheiden könne, und von Ilan und Adam, die sich gerade in Südamerika vergnügten. Sami blieb ausdruckslos, nur seine Augen rasten hin und her, musterten die Kolonne, in der er schon über eine Stunde vorankroch. Einmal, erinnerte sie sich, bei einer ihrer ersten gemeinsamen Fahrten, hatte er ihr gesagt, er zähle jeden Lastwagen, den er auf den Straßen des Landes sehe, egal ob zivil oder vom Militär, und als sie nichts begriff, hatte er ihr erklärt, in Lastwagen würde man ihn, seine Familie und alle Araber von 1948 eines Tages über die Grenze schaffen. Das ist es doch, was eure Transfer-Befürworter versprechen, hatte er gelacht, und Versprechen muss man halten, oder? Und, hör mir gut zu, hatte er hinzugefügt, unsere Idioten werden bei euch noch Schlange stehn, um da einen Job als Fahrer zu kriegen, wenn für sie dabei ein paar Scheine rausspringen.

    Ofer putzt sich pausenlos die Nase, mit einem Trompeten, das sie noch nie bei ihm gehört hat, es ist fremd und passt nicht zu seiner natürlichenWeichheit, und er knüllt die Taschentücher zusammen, stopft sie in den Aschenbecher und zieht sich gleich ein neues heraus, und die benutzten fallen auf den Boden, er hebt sie nicht auf, und sie gibt es schon auf, sich dauernd zu bücken und sie in ihre Handtasche zu stecken. Ein Jeep vom Typ Sufa überholt sie rhythmisch hupend und drängt sich direkt vor ihnen wieder in die Kolonne. Hinter ihnen schnaubt der breitgebaute Hummer-Jeep, er klebt ihnen an den Fersen; Sami streicht sich immer wieder über die große runde Glatze, drückt den gewaltigen Rücken in die Holzkugeln seiner Sitzauflage und schreckt jedes Mal nach vorn, wenn Ofers lange Beine sich in seine Rückenlehne bohren. Sein maskuliner, etwas verbrannter Geruch, immer vermischt mit dem eines teuren Rasierwassers, das sie mag, ist in den letzten Augenblicken in den Geruch von saurem Schweiß umgeschlagen, der wird immer stärker und erfüllt plötzlich das ganze Taxi, er ist stärker als die Klimaanlage, und Ora kann kaum noch atmen, traut sich aber nicht, das Fenster aufzumachen, sie sitzt da und atmet durch den Mund.
    Große Schweißtropfen bilden sich auf seiner Glatze und rinnen ihm über die Stirn, über die runden Wangen. Sie möchte ihm ein Taschentuch anbieten und wagt es nicht, ihr fallen die kleinen flinken Bewegungen ein, mit denen er die Finger in das Rosenwasser taucht, das man nach dem Essen in dem von ihm so geliebten Restaurant in Madschd El-Krum reicht.
    Seine Blicke rasen nervös zwischen dem Jeep vor ihm und dem, der hinter ihm dicht auffährt, hin und her. Er zieht sich mit zwei Fingern den angeklebten Hemdkragen vom Nacken. Er ist der einzige Araber in dieser Kolonne, denkt sie, und auch bei ihr beginnt der Schweiß zu jucken: Er kommt um vor Angst, wie konnte ich ihm das antun? Ein großer Tropfen hängt an seinem Kinn und will nicht fallen. Zäh, wie eine Träne, wie kommt es, dass er nicht fällt, warum wischt er ihn nicht endlich ab, lässt er ihn absichtlich da so hängen? Und Oras Gesicht glüht, wird immer röter, sie atmet schwer, Ofer macht ein Fenster

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