Eine Frau flieht vor einer Nachricht
kennenlernte, hatte er fast wie ein Knabe ausgesehn. Nur einundzwanzig Jahre waren vergangen, er ist doch nur drei oder vier Jahre jünger als sie. Hier altert man schnell, die auch, ging es ihr durch den Kopf, auch die altern schnell.
Und weil sie verlegen war, machte sie alles nur noch schlimmer, setzte sich nach hinten, stieg nicht dort ein, wo er ihr die Tür aufhielt – dabei saß sie sonst immer neben ihm, wie könnte es auch anders sein –, und auch Ofer setzte sich nach hinten, und Sami stand mit hängenden Armen, den Kopf leicht zur Seite geneigt, neben seinem Taxi, neben der offenen Tür, und für einen Moment sah er aus wie einer, der sich an etwas zu erinnern versuchte, oder sich einen vergessenen, plötzlich aus dem Irgendwo wiederaufgetauchten Satz vormurmelte, vielleicht einen Vers aus einem Gebet, ein altes Sprichwort, einen Segen zum Abschied von etwas, zu dem man nicht mehr zurückkehren kann; oder einfach wie einer, der in einem ganz privaten Augenblick den Frühlingstag einatmet, der in der gelben, sonnigen Blüte des Goldginsters und der Akazien so unglaublich schön war, und erst nach diesem kurzen Verweilen stieg er ins Auto, setzte sich aufrecht und steif auf seinen Sitz und wartete auf Anweisungen.
Ora sagte, das wird eine etwas lange Fahrt heute, Sami, hab ich dir das am Telefon gesagt? Er bewegte den Kopf nicht, schüttelte ihn nicht und nickte nicht, er schaute sie auch nicht im Rückspiegel an, beugte nur ein bisschen seinen breiten, geduldigen Nacken. Und sie sagte, wir müssen Ofer zu dieser Aktion bringen, du hast bestimmt im Radiodavon gehört, dahin, wo sie sich alle einfinden, nicht weit vom Berg Gilboa, komm, fahr los, wir erklären dir alles unterwegs. Sie redete schnell und eintönig. »Zu dieser Aktion«, sagte sie, als berichtete sie ihm von einem Sonderangebot im Heimwerkermarkt, und tatsächlich wäre ihr beinahe »zu dieser blöden Aktion« herausgerutscht, sie hatte sich gerade noch beherrscht, vielleicht weil sie wusste, dass sie damit Ofers Zorn wecken würde, und zu Recht, denn was knüpfte sie an so einem Tag subversive Beziehungen; vielleicht musste man ja wirklich, wie Ofer sie beim Mittagessen im Restaurant hatte überzeugen wollen, vielleicht musste man bei denen ja wirklich ein für alle Mal reinschlagen, auch wenn klar war, dass sie das nicht für immer erledigen würde, und auch in keinster Weise ihren Willen mindern, uns weiterhin zu bekämpfen. Im Gegenteil, hatte er betont, klar, dass so eine Aktion das Gegenteil bewirkt, aber würde es nicht wenigstens unsere Abschreckungskraft bis zu einem gewissen Grad wiederherstellen? Ora zügelte jetzt ihre Zunge, zog das linke Knie mit aller Kraft an sich, umklammerte es mit beiden Händen und saß so da, quälte sich wegen der Plumpheit, die sie gegenüber Sami begangen hatte, und um den Aufruhr in sich zu beruhigen, versuchte sie immer wieder, irgendein Gespräch mit Ofer oder mit Sami anzufangen. Ein ums andere Mal stieß sie gegen ihr Schweigen, beschloss aber, nicht aufzugeben, und so ertappte sie sich zu ihrer großen Überraschung dabei, wie sie Sami eine alte Geschichte erzählte, die ihr plötzlich einfiel, über ihren Vater, der schon sehr jung beinahe erblindet war, mit achtundvierzig, stell dir das vor, am Anfang verlor er wegen eines grünen Stars die Sehkraft seines rechten Auges, und das blüht mir wohl auch mal, sagte sie mit einem verlegenen Lächeln, und auf seinem linken Auge entwickelte sich über die Jahre eine Makuladegeneration, die ihm nur noch ein Blickfeld von der Größe eines Stecknadelkopfes übrigließ, und wenn die Vererbung richtig funktioniert, wird auch mir eines Tages nur noch so viel übrigbleiben. Sie lachte übertrieben laut und fuhr fort, dem Taxifond mit angestrengter Stimme von ihrem Vater zu berichten, der sich über lange Jahre vor einer Operation an seinem noch schwach sehenden Auge gefürchtet hatte. Sami schwieg, Ofer schaute aus dem Fenster, blies die Backen auf und schüttelte den Kopf, als weigerte er sich zu glauben, auf ein wie niedriges Niveau sie sich begab, um sichbei Sami einzuschmeicheln, dass sie ihm, um für ihren groben Fehler zu sühnen, eine so persönliche Geschichte zum Opfer brachte, und sie sah das alles und konnte trotzdem nicht aufhören. Zudem entwickelte auch die Geschichte plötzlich eine eigene Kraft, denn schließlich war Ofer es gewesen, Ofer und niemand anders, dem es mit Geduld und Hartnäckigkeit in zahllosen Gesprächen gelungen war, ihren
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