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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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unseren Beitrag geleistet, sagten zwei kräftige Männer zueinander, jetzt sind sie dran. Fernsehteams stürzten sich auf die Familien, die sich von ihren Lieben verabschiedeten. Ora war durstig, ausgetrocknet. Sie schleppte sich halb rennend hinter Ofers Rücken her. Jedes Mal, wenn ihr Blick auf das Gesicht eines Soldaten fiel, schreckte sie zurück und verstand nicht, warum – sie hatte Angst, sich an das Gesicht zu erinnern: Ofer hatte ihr erzählt, dass sie, wenn sie sich manchmal vor einem Einsatz fotografierten, auf genügend Abstand zwischen den Köpfen achteten, um Platz zu lassenfür den roten Kreis, der später in der Zeitung um sie gezogen würde. Scheppernde Lautsprecherdurchsagen lenkten die Soldaten zu den Sammelpunkten der verschiedenen Regimenter, und plötzlich blieb Ofer stehen, sie lief fast in ihn rein, und er drehte sich zu ihr um und fuhr sie an. Was ist in dich gefahren? zischte er ihr leise entgegen. Wenn sie hier plötzlich mittendrin einen Araber entdecken und denken, der will sich hier in die Luft jagen? Hast du dir denn überhaupt nicht überlegt, wie das für ihn ist, wenn er mich hierhinfahren muss? Kapierst du überhaupt, was du ihm da antust?
    Sie hatte nicht die Kraft, zu diskutieren oder etwas zu erklären. Sie gab ihm recht, doch hatte sie an nichts anderes mehr denken können. Wie konnte es sein, dass er sie jetzt nicht verstand. Sie hatte einfach nicht nachgedacht, weißer Nebel hatte sich in dem Moment in ihrem Hirn ausgebreitet, als er ihr gesagt hatte, statt jetzt mit ihr zu dem Ausflug nach Galiläa zu fahren, breche er zu irgendeiner arabischen Altstadt oder einer Muquataa auf. Sechs Uhr früh war es gewesen, sie war aufgewacht, weil sie ihn im Zimmer nebenan leise telefonieren hörte, war schnell rübergegangen, hatte seinen schuldbewussten Blick gesehen, war hellhörig geworden und hatte gefragt, haben sie angerufen? Und er antwortete, sie sagen, dass ich kommen muss, und sie, aber wann denn, und er, unverzüglich, und sie startete noch einen Versuch und fragte, kann das nicht ein bisschen warten, dass wir wenigstens für zwei, drei Tage wegfahren, denn sie hatte schon begriffen, von einer ganzen Woche mit ihm konnte sie nur noch träumen, und sie fügte mit einem erbärmlichen Lächeln hinzu, haben wir nicht gesagt, wir schnuppern ein bisschen die Gemeinsamkeit des Familienlebens? Und er hatte gelacht, Mama, das ist kein Spiel, das ist Krieg, und sie hatte sofort gekontert wegen seiner Überheblichkeit – und der seines Vaters und seines Bruders, wegen deren arrogantem Leichtsinn auf den Gebieten, auf denen sie besonders empfindlich reagierte – und gesagt, sie sei noch immer nicht davon überzeugt, dass das männliche Hirn zwischen Krieg und Spiel klar unterscheiden könne, und für einen Moment war sie mit ihrer schnellen Reaktion noch vor dem Morgenkaffee sogar ganz zufrieden, und Ofer zuckte schweigend mit den Schultern und ging in sein Zimmer, um zu packen. Und gerade weil er sie nicht, wie es seine Art war, mit einer schlagfertigen Antwort abgewiesenhatte, kam ihr ein Verdacht, und sie ging ihm hinterher und fragte, aber die haben dich angerufen, um es dir zu sagen, oder? Denn sie erinnerte sich, sie hatte kein Klingeln gehört, und Ofer holte Uniformhemden und graue Strümpfe aus dem Schrank, stopfte sie in den Rucksack und murrte hinter der Tür, ist doch egal, wer wen angerufen hat, es gibt einen Einsatz. Mobilmachung. Das halbe Land ist schon eingezogen. Aber sie ließ nicht locker und lehnte kraftlos am Türpfosten, verschränkte die Arme vor der Brust und verlangte, dass er ihr erzählte, wie es zu diesem Telefongespräch gekommen war, und sie ließ nicht von ihm ab, bis er zugab, dass er in der Frühe dort angerufen hatte, noch vor sechs Uhr hatte er seine Kompanie angerufen und darum gebettelt, eingezogen zu werden, obwohl er heute um neun Uhr null null in der Kleiderkammer der Entlassungsdienststelle hätte erscheinen sollen, um entlassen zu werden und von dort aus mit ihr weiter nach Galiläa zu fahren. Aus dem, was er mit niedergeschlagenen Augen murmelte, wurde ihr mit Entsetzen klar, dass die Armee von sich aus gar nicht auf die Idee gekommen wäre, ihn aufzufordern, seinen Dienst zu verlängern, in deren Augen war er bereits ganz und gar Zivilist, schon längst auf Entlassungsurlaub. Ja, er selbst habe da angerufen, hatte Ofer provoziert, war plötzlich vor ihren Augen entflammt, und seine Stirn hatte sich gerötet, denn er sei nicht bereit, jetzt

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