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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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von dem umherirrenden Grübelgedanken, sag mal, weißt du, was die Abkürzung SMS bedeutet? Ofer starrt sie durchs Handy an: Was hast du gefragt? Und sie, kann sein, dass es »Save my Soul« bedeutet? UndOfer seufzt, ich hab echt keine Ahnung, Mama, und sie versucht, sich schnell von ihrem Staunen zu erholen, und sagt, nein, ich nehme das Handy nicht mit, ich will nicht, dass man mich findet. Auch ich nicht? fragt er mit einer dünnen, plötzlich von keiner Rinde mehr geschützten Stimme, und Ora sagt traurig, nein, auch du nicht, niemand, und die dumpfe Ahnung, die vorher in ihr aufgestiegen ist, wird immer klarer: Die ganze Zeit, die er dort sein wird, darf man sie nicht finden, darauf kommt es an, das sind die Regeln, alles oder nichts, wie bei einem Kinderschwur, wie bei einer wahnsinnigen Wette um das Leben selbst, und vielleicht wird sie ihre Absicht ja bald schon ganz verstehen, aber noch ist alles verschwommen und ertastet sich seinen Weg. Aber wenn mir wirklich was passiert? schreit er nun, protestiert gegen die unbegreifliche, schockierende Störung der bestehenden Ordnung. Nein, nein, antwortet sie fieberhaft, verschließt sich eilig vor ihm, dir wird nichts passieren, ich sag dir, das weiß ich, aber ich muss einfach ein bisschen verschwinden, versteh das doch, aber weißt du, was? Ich erwarte nicht von dir, dass du das verstehst, stell dir einfach vor, ich wär ins Ausland gefahren, eine Auslandsreise, wie dein Vater zum Beispiel – doch wenigstens das konnte sie unterdrücken. Jetzt? Ausgerechnet jetzt fährst du ins Ausland? In so einer Zeit? Wo Krieg ist? Er bettelt schon fast, sie stöhnt vor Schmerz.
    Da reißt sie mit Gewalt ihren Blick von diesem Mund. Es ist zu seinem Guten, es ist nur zu seinem Guten, dass sie ihn jetzt verlässt. Er wird es nicht verstehen. Ich muss jetzt los, sie wiederholt die Worte immer wieder mit Nachdruck, sie beschwört sich selbst, ihr Gesicht ist verkrampft, sie verleugnet ihn, aber sie tut es für ihn, er wird das nicht verstehen, auch sie versteht es nicht ganz, aber plötzlich ist es in ihr so stark wie ein Instinkt.
    Und wie kommt es, dass ich denen, die ihn dorthin ausrücken lassen – endlich bekommt sie etwas aus dem Nebel, der schon Stunden durch ihr Hirn weht, zu fassen –, dass ich denen mehr die Treue halte als meinem eigenen Muttersein?
    Hör mir mal zu, Ofer, und schrei mich nicht an. Jetzt hörst du mir zu! unterbricht sie ihn scharf; etwas in ihrer Stimme scheint ihn zu alarmieren, verbreitet eine unbekannte kühle Autorität: Streit jetzt nicht mit mir. Ich muss hier für eine Weile weg. Ich werd es dir erklären,aber nicht jetzt. Ich tu das für dich. Für mich? schreit er, wieso denn bitte für mich? Ja, für dich, spuckt sie ihm beinahe vor die Füße, wenn du größer bist, wirst du das verstehen, aber sie weiß, im Grunde ist es genau umgekehrt, wenn du kleiner bist, wirst du das verstehen, wenn du wieder ein kleines Kind sein wirst, wenn du die Schatten der Nacht und deine Albträume mit lächerlichen Gelübden und einem unglaublichen Pakt beschwören wirst, dann vielleicht wirst du es verstehen.
    Jetzt ist es entschieden, sie muss dem gehorchen, das ihr sagt, sie soll aufstehen und das Haus verlassen, sofort, ohne einen Moment länger zu verweilen, sie darf nicht hierbleiben, und auf merkwürdige und verwirrende Weise ist genau dies anscheinend ihr Mutterinstinkt, von dem sie dachte, nachdem man ihn in letzter Zeit so oft in Frage gestellt hatte, er sei in ihr schon ganz abgestumpft.
    Versprich, dass du gut auf dich aufpasst, sagt sie sanft, versucht vor ihm die absolut harte Stelle zu verbergen, die plötzlich hinter ihren Pupillen entstanden ist, und mach keinen Unfug, hörst du? Sei vorsichtig, Ofer, tu dort keinem was an und pass auf, dass dir keiner was antut, und glaub mir, ich tu das für dich. Was tust du für mich? Er ist erschöpft von ihrer Spinnerei, so etwas kennt er bei ihr nicht, sie hatte doch sonst keinen Spleen, da kommt ihm plötzlich eine kleine Erleuchtung: Ist das eine Art Eid, den du da ablegst? Ora freut sich, dass er etwas versteht, dass er schon ganz nah dran ist, denn wer könnte sie verstehen, wenn nicht er. Ja, so kann man es nennen, einen Eid, ja, und vergiss nicht, wir treffen uns, wenn deine Sache da vorbei ist, deine Mobilmachung. Er seufzt, dann mach das halt, und sie spürt, wie schnell er einen Schritt von der Stelle zurückweicht, an der sie sich soeben begegnet waren – es gibt sie also noch immer, diese

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