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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Schlag sie ihm in dem Moment versetzt hat. Das Gegenteil von dem, was er zu hören erwartet hatte.
    Avram, sagt sie, ich erklär dir alles, und du wirst sehn, es ist nicht schlimm, das ist nicht das Ende der Welt. Und sie wiederholt noch einmal, dass sie Ofer zu diesem Einsatz gerufen haben, und er hört ihr zu oder auch nicht, und als sie fertig ist, sagt er dumpf, aber das ist nicht gut, und sie seufzt, du hast recht, das ist nicht gut.
    Nein, ich meine das ernst, das ist nicht gut, das ist keine gute Zeit. Das Telefon in Oras Hand ist nass, ihr Arm schmerzt von der Anstrengung des Festhaltens, als läge das ganze Gewicht dieses Mannes auf ihm. Aber was ist mit dir, flüstert sie, Urzeiten haben wir uns nichtmehr gesprochen. Und er, aber du hast gesagt, er würde heute entlassen, du hast das gesagt! Du hast recht, heute ist wirklich der Termin seiner Entlassung. Warum entlassen sie ihn dann nicht! schreit er sie an, du hast gesagt, heute wär sein Termin! So hast du gesagt!
    Wie der Stoß aus einem Flammenwerfer fährt es ihr aus dem Hörer entgegen. Sie hält das Telefon etwas weiter weg. Sie möchte mit ihm zusammen schreien, heute hätte er entlassen werden müssen!
    Beide schweigen. Einen Moment meint sie, er habe sich etwas beruhigt, und sie flüstert, aber was ist mit dir, sag doch. Drei Jahre warst du verschwunden. Er hört sie nicht, sagt nur immer wieder zu sich selbst: Das ist nicht gut, das ist das Schlimmste, wenn sie ihm im letzten Moment noch was dranhängen. Ora, deren Talismane und innerlich verwendete Beschwörungsformeln auf die Minute genau für drei Jahre eingestellt waren, geht in diesem Moment die Kraft aus, und auch deren Kräfte lassen jetzt nach; hinter Avrams Worten spürt sie ein Wissen, das noch gewaltiger ist als das ihre.
    Wie lang wird er dort sein? fragt er, und sie erklärt ihm, das wisse man nicht. Er war schon im Entlassungsurlaub, und plötzlich hat das Militär angerufen – sie schluckt etwas hinunter – und gebeten, dass er kommt. Aber für wie lange? fragt er. Mobilmachung, sagt sie, das können ein paar Wochen sein. Wochen?! bricht es wieder aus ihm heraus, und Ora sagt eilig, das sind etwa achtundzwanzig Tage, aber höchstwahrscheinlich wird es viel kürzer …
    Beide sind erschöpft. Sie rutscht vom Sessel auf den Boden, sitzt da, die langen Beine untergeschlagen, den Kopf gesenkt, das Haar fällt ihr ein bisschen über die Wangen, und ihr Körper imitiert, ohne es zu merken, die Art, wie sie als junges Mädchen dasaß. Die Haltung der Siebzehnjährigen, als sie mit ihm telefonierte, und mit neunzehn, und mit zweiundzwanzig, stundenlange tiefschürfende Gespräche von Seele zu Seele. Damals hat er noch eine Seele gehabt, kommentiert Ilan aus der Ferne.
    Ein leises Geräusch kommt durch die Leitung, ein Nebel aus Zeit und Erinnerung. Ihr Finger verfolgt die Schlingen des Musters auf dem Teppich. Man müsste mal erforschen, denkt sie mit saurem Hals, warum diese Bewegung des Fingers im Teppichflausch immer gleich Erinnerungen und Sehnsucht weckt. Den Ring am nächsten Fingerkann sie noch immer nicht abziehen, vielleicht wird sie es nie können: Das Metall krallt sich ins Fleisch, weigert sich abzugehen. Und wenn er leicht abginge, hättest du ihn dann abgezogen? Ihre Lippen schoben sich ein bisschen nach vorn. Wo ist er jetzt? In Ecuador? In Peru? Spaziert mit Adam auf den Galapagosinseln zwischen Schildkröten herum und kommt gar nicht auf die Idee, dass hier beinahe Krieg ist? Dass sie heute Ofer allein hat zu diesem Einsatz bringen müssen.
    Ora, meldet er sich wieder, mühsam, als habe er sich aus einem Brunnen hochgezogen, ich kann jetzt nicht allein sein.
    In einer schnellen Bewegung steht sie vom Teppich auf. Willst du, dass ich … Warte, was genau möchtest du?
    Ich weiß nicht.
    Ihr schwindelt, sie lehnt sich an die Wand: Gibt es jemanden, der zu dir kommen und bei dir sein kann?
    Lange Sekunden Stille. Nein, im Moment nicht.
    Keinen Freund? Jemanden von der Arbeit?
    Oder eine Freundin, denkt sie, diese junge Frau, die er mal hatte, dieses junge Ding, was ist denn mit der.
    Ich arbeite schon zwei Monate nicht mehr.
    Was ist passiert?
    Das Restaurant wird renoviert. Sie haben uns in Urlaub geschickt.
    Im Restaurant? Du arbeitest im Restaurant? Und was ist mit dem Pub?
    Welchem Pub?
    Wo du gearbeitet hast …
    Ach da, da bin ich schon zwei Jahre nicht mehr. Sie haben mir gekündigt.
    Auch ich habe ihm nichts erzählt, denkt sie. Dass sie mir auf der Arbeit

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