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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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gekündigt haben und die Familie auch.
    Ich hab keine Kraft mehr, sagt Avram leise, ich sag dir, die hat genau bis heute gereicht.
    Hör mal, sie spricht beherrscht, ruhig und mit Bedacht, ich wollte morgen in den Norden fahren, da kann ich kurz bei dir vorbeikommen …
    Sein Atem geht wieder schneller, pfeift. Merkwürdig, dass er sie nicht sofort abschmettert. Sie steht am Fenster. Die Stirn an der Scheibe.Die Straße sieht normal aus. Kein unbekanntes Auto. Die Hunde der Nachbarn bellen nicht.
    Ora, ich hab nicht verstanden, was du gesagt hast.
    Macht nichts, bloß eine dumme Idee. Sie zwingt sich, vom Fenster wegzugehn, lacht über die kleine Illusion, die da in ihr erwacht war.
    Willst du kommen?
    Ja? Sie ist überrascht.
    Hast du gesagt, dass du das willst?
    Im Grunde ja.
    Aber wann?
    Wann du willst. Morgen. Jetzt. Lieber jetzt. Ehrlich gesagt, ich hab ein bisschen Angst, hier allein zu sein.
    Und du wolltest kommen?
    Nur für ein paar Minuten. Ich bin sowieso auf dem Weg nach …
    Aber du darfst nichts erwarten. Hier, das ist ein Loch.
    Sie schluckt, ihr Herz beginnt zu rasen: Das macht mir keine Angst.
    Ich lebe in einem Loch.
    Das macht mir nichts.
    Oder vielleicht gehn wir ein bisschen spazieren. Was meinst du?
    Wie du willst.
    Ich warte unten auf dich, und dann gehn wir ein bisschen spazieren, gut?
    Draußen?
    Es gibt in der Nähe einen Pub.
    Ich komm, und dann entscheiden wir.
    Hast du meine Adresse?
    Ja.
    Aber ich kann dir nichts anbieten. Das Haus ist leer.
    Ich brauche nichts.
    Ich bin schon fast einen Monat allein.
    Ja?
    Ich glaub, der kleine Laden hat auch zugemacht.
    Ich brauch nichts zu essen.
    Während sie mit ihm redet, rennt sie durch die Wohnung, als würde sie von einer Wand zur anderen geworfen. Sie muss organisieren, fertigpacken, Briefe hinterlassen. Sie wird aufbrechen. Sie wird fliehen. Und ihn nimmt sie mit.
    Wir können … Da ist so ein Kiosk …
    Avram, ich krieg sowieso keinen Krümel runter. Ich will nur dich sehen.
    Mich?
    Ja.
    Und danach fährst du wieder nach Hause?
    Ja. Das heißt, nein, vielleicht fahr ich weiter nach Galiläa.
    Nach Galiläa?
    Das ist jetzt nicht wichtig.
    Wie lange brauchst du?
    Bis ich komm oder bis ich geh?
    Er schweigt. Vielleicht hat er ihren kleinen Witz nicht verstanden.
    Ich brauche ungefähr eine Stunde, um hier alles abzuschließen und nach Tel Aviv zu kommen. Ein Taxi, erinnert sie sich, und ihr Mut sinkt, ich muss wieder ein Taxi nehmen. Wie wollte ich überhaupt nach Galiläa kommen? Sie kneift die Augen zu. Sie empfängt das tastende Zeichen eines fernen Kopfschmerzes. Ilan hatte recht, ein Fünfjahresplan hielt bei ihr, wenn’s hoch kam, fünf Minuten.
    Ich sag dir, das ist ein Loch hier.
    Ich komme.
    Sie legte auf, bevor er es sich anders überlegte. Bullernd rannte sie hin und her, schrieb einen Brief an Ofer, begann ihn im Sitzen und merkte plötzlich, dass sie stand, ganz und gar gekrümmt dastand und ihm noch einmal erklärte, was sie kaum selbst verstand, sie bat ihn um Verzeihung und versprach ihm wieder, sie würden, wenn er von dort zurück sei, ihren Ausflug zusammen machen, und er solle bitte nicht nach ihr suchen, in einem Monat sei sie wieder zurück. Mutterehrenwort. Sie legte den Brief in einem zugeklebten Umschlag auf den Tisch, hinterließ einen Zettel mit Anweisungen für Bronja, die Haushaltshilfe, sie schrieb in einfachem Hebräisch und in großen Buchstaben, sie sei überraschend in Urlaub gefahren, und bat sie, die Post aus dem Kasten zu holen und sich um Ofer zu kümmern, falls er auf Urlaub komme – Wäsche waschen, bügeln, kochen –, und hinterließ ihr einen Scheck für den kommenden Monat mit einer größerenSumme als sonst. Danach verschickte sie einige kurze E-Mails, machte ein paar Anrufe, vor allem bei ihren Freundinnen. Sie erzählte, ohne richtig zu lügen, aber auch ohne die ganze Wahrheit zu sagen, vor allem jedoch ohne zu erwähnen, dass Ofer heute freiwillig zurück zur Armee gegangen war. Fragen, Erstaunen und Warnungen schmetterte sie geradezu grob ab: Alle wussten natürlich von dem geplanten Ausflug mit Ofer, dem sie, gemeinsam mit ihr, erwartungsvoll entgegengeblickt hatten. Sie verstanden, dass irgendwas nicht klappte und dass sich im letzten Augenblick eine andere, nicht weniger faszinierende und nicht weniger gewagte Idee ergeben hatte, eine Versuchung, der man kaum widerstehen konnte. Sie fanden, Ora klinge merkwürdig, ein bisschen durcheinander, so als hätte sie etwas genommen. Sie

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