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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Talia muss mit ihm reden, bevor er nach dort aufbricht – und er versucht den Lärm um sich herum zu überschreien, Leute, Klappe mal, ich red mit meiner Mutter! Und sofort lautes Johlen der Anerkennung, das Heulen brünstiger Schakale, die seiner super Mutter viele Grüße ausrichten, und sie soll doch bitte schnell ihre selbstgemachten Schokohörnchen abschicken, und Ofer geht an einen ruhigeren Platz. Das sind die Wilden, erklärt er ihr, alles Ladeschützen. Sie hört seinen Atem beim Gehen, auch zu Hause telefoniert er im Gehen, Adam auch, das haben sie von Ilan – meine Gene sind ja wie Butter, sagt sie sich im Stillen –, manchmal telefonierten die Jungs und Ilan alle drei gleichzeitig, jeder an seinem Handy, und gingen dabei alle energisch im großen Wohnzimmer auf und ab, jeder schnitt die Achsen der anderen, aber sie stießen nie zusammen.
    Jetzt ist es plötzlich ruhig, vielleicht hat er sich hinter einen der Panzer geflüchtet, und gerade diese Ruhe weckt in ihr aus irgendeinem Grunde Unruhe, und anscheinend auch in ihm, vielleicht spürt er auch, dass er ihr plötzlich allein gegenübersteht, ohne dass die ganze israelische Verteidigungsarmee ihn beschützt, und er erzählt ihr eilig, 110 % der Einberufenen seien erschienen, alle wollen unbedingt ausrücken, können es nicht mehr erwarten, bei denen reinzuhaun, er macht weiter, mimt ihr gegenüber jetzt den Heerführer, der Adjutant sagt, so eine Gestellung hätte er noch nicht erlebt – dann können sie auf dichja verzichten, denkt sie, doch es gelingt ihr, den Mund zu halten –, das Problem ist jetzt, dass es nicht genug Keramikwesten für alle gibt, und ein Teil der Besatzungen hat noch gar keine Panzer, denn die Hälfte der Tieflader steht im Stau bei Afula. Der, der ihm diesen Wörterkies in den Mund gestopft hat, ist wohl derselbe, der ihr jetzt rät zu fragen, ob er wisse, wann das alles vorbei sein wird. Ofer lässt ihre Frage einen Moment nachklingen, bis sie das Ausmaß ihrer Sinnlosigkeit und Dummheit selbst begreift. Auch das ist eine von Ilans kleinen Taktiken gegen sie, denkt sie, Kinder kriegen so etwas mit und benutzen es später, ohne zu kapieren, was für eine Generationen überdauernde Waffe sie da einsetzen. Ofer kehrt wenigstens immer wieder schnell um, doch sie fragt sich schon, wann es auch damit vorbei sein wird, wann wird der Moment kommen, wo auch er sie mit einer von Ilans langen Nadeln stechen wird und nicht umkehren, um die Verwundete wegzutragen.
    Also wirklich, Mama, seine Stimme ist warm und heilt wie seine Umarmungen, wir hören nicht eher auf, als bis wir den Sumpf des Terrors trockengelegt haben – jetzt fängt er an zu lächeln, ahmt den hochmütigen Tonfall des Ministerpräsidenten nach –, bis wir die Terrorbanden vernichtet, den Schlangenkopf zertreten und ihre Nester ausgeräuchert haben …
    Sie drängt sich schnell dazwischen, nutzt die Pause, in der er lacht, und sagt, Oferiko, hör mal, kann sein, dass ich doch für ein paar Tage in den Norden fahre, und er, wart mal, der Empfang hier ist beschissen, warte, was hast du gesagt? Ich glaub, ich fahr in den Norden, und er, was, nach Galiläa? Und sie, ja, und er, allein? Ja, allein. Aber warum denn allein, hast du denn niemanden, der … Sofort merkt er, dass das keine glückliche Formulierung war: Kannst du nicht mit einer Freundin oder so fahren? Und sie schluckt seinen so eklatanten Fehler in Sachen Takt runter, ich habe niemanden, der, sagt sie, und ich habe gerade keine Lust, mit einer Freundin oder so zu fahren, und zu Hause will ich jetzt auch nicht sein. Seine Stimme legt sich in Falten, Moment mal, Mama, das hab ich jetzt nicht kapiert: Du fährst wirklich alleine? Da fliegt ihr plötzlich der Korken aus der Gurgel, mit wem, meinst du, soll ich denn fahren? Mein Partner hat sich ja im letzten Moment aus dem Staub gemacht, hat beschlossen, sich freiwillig zurHebräischen Legion zu melden. Er unterbricht sie ungeduldig, dann fährst du an unsere Orte, die wir gemeinsam sehen wollten? Sie geht heldenhaft über das geraubte »gemeinsam« hinweg, ich weiß nicht, das kam mir grad erst, in diesem Moment, jetzt, wo ich mit dir rede.
    Er lacht spöttisch auf: Wenigstens hast du schon einen komplett gepackten Rucksack, und sie korrigiert ihn, zwei sogar, und er, aber ich versteh das nicht, und sie, was gibt’s da zu verstehen, ich halt es hier jetzt nicht länger aus. Ich krieg hier keine Luft.
    Irgendwo hinter ihm wird ein großer Motor angelassen. Jemand

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