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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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einen halben Tag mit den verkehrten Schuhen rumgelaufen bist, bloß weil ich beschlossen hatte, dass es so richtig herum war. Entsetzlich, wie Eltern bestimmen können … Aber warte, ihre Mundwinkel sanken, hab ich dir das nicht schon erzählt? Lass uns nachschauen, wie oft, hatte Ofer da gesagt und auf seinem Handy die Taschenrechnerfunktion betätigt; solche Gespräche mit großem Kichern und gegenseitigen Sticheleien hatten sie unzählige Male geführt. Eine etwas verlegene Wärme war zwischen ihnen hin und her geflossen, mit Blicken bis tief in die Seele. Doch in den letzten Jahren waren sie seltener geworden, wie alles zwischen ihnen, so empfand sie es zumindest, als seien er und Adam, seit sie größer wurden, immer mehr in Ilans Besitz übergegangen, in Ilans Bereich, und manchmal hatte sie den Eindruck, man habe sie in ein anderes Magnetfeld verpflanzt, in dem andere Gesetze und Empfindlichkeiten und vor allem Unempfindlichkeiten herrschten, wobei sie völlig die Orientierung verlor, ein Gewirr von Drähten, von Stolperfallen, um die sie bei jedem Schritt lächerlich herum balancierte. Aber das, was zwischen ihr und ihm da war, das gab es trotzdem noch, versuchte sie sich immer wieder einzureden, es musste irgendwo weiterexistieren, es war jetzt, wo er beim Militär war, vor allem während er dort diente, bloß ein bisschen unter der Oberfläche, aber mit seiner Entlassung würde es zurückkommen und dann vielleicht sogar stärker werden. Und sie seufzte laut auf und fragte sich, wie es dazu gekommen war, dass es in den letzten Jahren ihre Spezialität geworden war, in Menschen Lebenszeichen aufzuspüren.
    Avram verfolgte ernst Oras Bewegungen mit den Schnürsenkeln, machte sie nach und verhedderte sich, und sie setzte sich neben ihn und zeigte es ihm an ihren Schuhen, nach dem Motto, erst zuschauen, dann nachmachen, und sie merkte, dass der Fluss ihm den scharfen Uringeruch von gestern abgewaschen hatte und man bereits neben ihm sitzen konnte, ohne von dem Gestank umzufallen. Er selbst sagteplötzlich, ich habe gestern in die Hose gemacht, nicht wahr? Und sie, frag nicht. Und er, wo ist mir das passiert? Und sie, lass gut sein. Und er, ich kann mich an nichts erinnern. Und sie, besser so. Er prüfte ihr Gesicht und beschloss nachzugeben, und sie fragte sich, ob sie ihm wohl je von dieser Nacht mit Sami erzählen würde.
    Erst als sie Avram auf dem Rücken bis an die Wagentür geschleppt hatte, war Sami widerwillig und wütend ausgestiegen. Zusammen gelang es ihnen, den schlafenden Avram auf den Hintersitz zu bugsieren, und erst da wurde ihr bewusst, dass Sami bis zu diesem Moment gar keine Ahnung gehabt hatte, dass sie einen Mann abholten. Schon ein paar Monate hatte er auf seine feine, höfliche Art darauf gelauert, von ihr zu hören, ob sie schon einen Neuen habe. Nicht wirklich einen Neuen, dachte sie, eher einen sehr alten. Das ist Avram aus zweiter Hand, womöglich sogar aus dritter Hand. Schweißnass und schnaufend hatte sie dagestanden, ihre Bluse war verknittert, die Beine zitterten.
    Fahr, hatte sie gesagt, nachdem sie sich neben Sami gesetzt hatte.
    Wohin?
    Sie dachte einen Moment nach, schaute ihn nicht an und sagte, bis dahin, wo das Land zu Ende ist.
    Und er zischte, für mich ist es schon lange zu Ende.

    Sie waren losgefahren, ab und zu hatte sie gespürt, wie Sami ihr von der Seite einen Blick zuwarf, verwundert, feindlich, vielleicht auch etwas erschreckt, und sie hatte ihn nicht angeschaut, nicht gewusst, was er in ihr sah, aber gespürt, dass es in ihr schon etwas Neues gab. Sie fuhren, ließen Ramat HaScharon, Herzlia, Netanja und Hadera hinter sich, nahmen die Straße durchs Wadi Ara, fuhren an Gan Schmuel und Ejn Schemer vorbei, an Kafr Kara, Arara und Umm El-Fachem, überquerten die Kreuzung Megiddo und die Kreuzung HaSargel, verloren in Afula die Richtung und irrten lange durch das Städtchen, das sich mit seiner neuen Verkehrsführung wie eine Großstadt aufspielte, sie wurden von einem Kreisverkehr zum nächsten geworfen, bis sie sich wie der Ball beim Auftritt eines Seehundes vorkamen, und schließlich fanden sie den Weg aus der Stadt hinaus, fuhren an Kfar Tabor und Kfar Schibli vorbei, dann auf der 65 Richtung Norden bis zur Golani-Kreuzung, von da aus weiter nach Norden, an Buejna und Eilabunvorbei, bis zur Kedarim-Kreuzung, die auch Nachal-Amud-Kreuzung heißt, und Ora dachte, wie viele Jahre war ich schon nicht mehr im Nachal Amud wandern, wenn ich mit Ofer hier wäre, würde

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