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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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gleichen Augenblick, daß der Portier aus seiner Loge herausgetreten war und ihm interessiert zuschaute. Wahrhaftig, der Mann machte Anstalten, näher zu kommen und womöglich zu fragen, ob er gleich die Irrenanstalt benachrichtigen oder es vorerst noch mit einem Glas kalten Wassers versuchen wolle...
    Werner schaltete die Zündung ein, trat aufs Gaspedal und winkte dem Portier, der ihm unsicher nachschaute, freundlich zu, als er aus dem Tor herausschoß . Es wurde Zeit, abzuschalten, sich auf den eigenen Wagen und auf die Bremslichter des Vordermanns zu konzentrieren, aber das Gehirn war leider kein Radioapparat, den man durch einen Druck auf den Knopf zum Verstummen bringen konnte. Es summte weiter. Severin — Severin — Severin... den dringenden Wunsch haben, mich aufzusuchen... Was sollte da noch kommen? War dieses Frankfurter Erlebnis nur ein Auftakt? Nur ein Vorspiel? Nur ein Eröffnungszug? Nur ein Vorgeschmack? Eine Vorschau, wie sie die Kinos bringen, um ihr Publikum in Spannung und Erwartung auf das neue Programm zu versetzen? Hatte Severin ihm mit dem Rat, nach Frankfurt zu fahren, nur einen Stoß versetzen wollen, der ihn wach machte und darauf vorbereitete, daß ihn noch ganz andere Dinge erwarteten?
    Sein Magen sagte ihm, daß er die Zeit des Mittagsmahles bereits um eine gute Stunde überschritten habe. Merkwürdig, der Magen meldete Hunger, aber der Verstand hatte absolut keinen Appetit. Immerhin, man tat gut daran, den Magen mit einem Paar Frankfurter Würstchen zu füttern und zufriedenzustellen. Und noch merkwürdiger, daß die Frankfurter in Frankfurt Wiener hießen und in Wien Frankfurter. Wie kompliziert doch dieses Europa war... Kein Wunder, daß es hier ewig Stunk gab, wenn sich schon die Würstchen nicht auf ihren Namen einigen konnten.

    Er sandte von Stuttgart aus ein Telegramm an Anita Eyssing, daß er in dringenden Angelegenheiten in Stuttgart und Köln noch zu tun habe und daß er sich wieder bei ihr melden werde, sobald er wüßte, wann er wieder in München sein könne. Mannheim, Stuttgart und Köln klangen unverfänglich. Bei Frankfurt oder Höchst hätte sie vielleicht ein ungutes Gefühl gehabt. Frauen besaßen oft ein unheimliches Ahnungsvermögen.
    Auf der Heimfahrt jagte er nicht. Mehr als hundert Stundenkilometer waren kein Tempo, wenn man den Kopf voller Gedanken hatte. Gedanken waren in diesem Falle nicht weniger gefährlich als 1,5 Promille Alkohol im Blut, vielleicht sogar noch gefährlicher. Er schlich dahin und ließ den kleinsten Straßenflöhen die Freude und den Triumph, daheim verkünden zu können, sie hätten einen 190er SL überholt, daß er nur noch den blauen Dunst ihrer Auspuffgase geschmeckt habe. Hinter Ulm klärte sich sogar der Himmel auf, es war — von wenigen Stunden abgesehen — das erste Blau, das sich seit seiner Ankunft in Deutschland makellos über den ganzen Horizont spannte. Die Wiesen leuchteten honiggelb vom Löwenzahn, die Salweiden blühten, und Erlen und Birken trieben vorsichtige Spitzen und sahen aus, als hätten sie schimmernde Schleier übergeworfen.
    Die Sonne war im Untergehen, als er wieder in München einfuhr. Vorsichtshalber ließ er den Wagen mit der auffallenden Zollnummer nicht vor dem Hotel stehen, sondern fuhr ihn in die Garage, und er beauftragte die Telefonzentrale, eventuelle Anrufe damit abzufertigen, daß er sich außerhalb Münchens befände und daß der Termin seiner Rückkehr nicht bekannt sei. Er ließ sich einen kalten Imbiß aufs Zimmer kommen und verließ das Hotel erst, als die Dunkelheit vollends hereingebrochen war.
    Die Stadt brodelte von Leben, als er sie zu Fuß in der Richtung zum Marienplatz durchquerte, langsam, als könne er das, was ihn erwartete, nicht lange genug hinauszögern. Noch vor dem Gasthof >Zum Thurmbräu <, in dessen holzgetäfelten Speiseraum er durch rot-blau gewürfelte Gardinen hineinspähte, überlegte er, ob er hineingehen sollte. Rechts neben der Tür hing die Speisekarte in einem braunen Holzkasten. Die Glasscheibe hatte einen sternförmigen Sprung. Ein Zettel hing darunter: Heute Blut- und Leberwurst.
    Man trat in einen Flur, in dem es nach Bier, Sauerkraut und Spülwasser roch, einem Duftgemisch, das aus der Gaststube und aus der Küche heranwehte. Eine ungedeckte Holzstiege führte nach oben. Am untersten Pfosten des Treppengeländers hing schief ein Pappschild mit dem Aufdruck: ZIMMER FREI. Darunter stand in einer ungelenken Kinderschrift: an Gassenschänke nachfragen! — Die

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