Eine Frau für Caracas
»sie ist peinlich und bitter, und sie ist für Sie noch bitterer, wenn Sie mit dem Herzen stark engagiert sind...«
»Verzeihen Sie, wenn ich mich gehen ließ«, murmelte Werner und holte tief Atem, »ich fange mich schon wieder. Nur — dieser Schlag kam etwas sehr plötzlich und unerwartet.«
Er wollte sich erheben, aber Dr. Eyssing drückte ihn auf den Stuhl zurück.
»Ich höre den Namen dieser Frau nicht zum erstenmal «, sagte er und nahm neben Werner Platz, »es hat schon zwei oder drei ähnliche Geschichten gegeben, in denen sie sich aus Geltungsbedürfnis als meine Tochter ausgegeben hat. Es waren törichte, kleine Schwindeleien, mit denen sie ihr Leben bereits auszuschmücken liebte, als sie noch in Frankfurt die Handelsschule besuchte. — Als Sie den Namen Severin nannten und dabei erwähnten, daß er von Beruf Schauspieler sei, da fiel mir ein, daß mir Frau Störting vor einigen Jahren eine merkwürdige Geschichte erzählte...«
»Ich kenne sie bereits«, sagte Werner, »oder besser gesagt, ich kann sie mir denken. Der Unterschied zu mir wird wohl nur darin liegen, daß Severin bereits bei Frau Störting die Wahrheit erfuhr und darauf verzichtete, sich die Wahrheit von Ihnen bestätigen zu lassen.«
»Ja, so ist es«, nickte Dr. Eyssing.
»Und wer ist nun Anita Eyssing?«
»Das kann ich Ihnen sagen. Sie ist die Tochter eines sehr braven und tüchtigen Mannes, der bei mir als Werkzeugschlosser beschäftigt ist und zufällig genauso heißt wie ich, Friedrich Eyssing. Das mag verführerisch sein... Ich kann den Mann, mit dem ich übrigens auch nicht auf weiteste Entfernung verwandt bin, nicht wegen seines Namens entlassen und auch nicht deshalb, weil seine Tochter mit dem Namen Eyssing Unfug treibt.«
Werner erhob sich, und dieses Mal hielt Dr. Eyssing ihn nicht zurück.
»Sie waren sehr liebenswürdig, Herr Dr. Eyssing... Sie können sich wahrscheinlich denken, wie mir zumute ist... ein wenig übel. Ich fühle mich bis auf die Knochen blamiert...«
»Nicht doch, nicht doch!« sagte der alte Herr ruhig, »die Menschen sind nicht aus Glas. Man schaut nicht in sie hinein. Und das ist gut so. Auch wenn man einmal solch eine Enttäuschung erlebt wie Sie...«
»Haben Sie vielen Dank und entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange in Anspruch genommen habe.«
»Ich möchte mich mit Ihnen gern bei einer guten Flasche Mosel unterhalten, Herr Gisevius. Suchen Sie mich auf, wenn Sie diese Geschichte verdaut und hinter sich gebracht haben, und wenn Ihr Weg Sie wieder einmal durch Frankfurt führen sollte.«
»Ich werde mich gern daran erinnern.«
»Dann also, leben Sie wohl!« Er begleitete Werner durch das Vorzimmer und durch das Sekretariat und ließ es sich nicht nehmen, für Werner den Aufzugsknopf zu drücken und zu warten, bis der Fahrstuhl heraufgeschnurrt kam und bis sich die Stahltür hinter Werner geschlossen hatte. Es war, als wolle er seinem Gast den Abgang durch besondere Liebenswürdigkeit leichter machen.
Werner verließ das Verwaltungsgebäude, er hatte nur quer über den Fliesenhof zu gehen, um zu seinem Wagen zu kommen, aber er war, als er sich endlich hinter das Steuer setzte, so fertig, als hätte er einen stundenlangen strapaziösen Gepäckmarsch hinter sich gebracht. Und er merkte, daß seine Finger zitterten, als er den Zündschlüssel ins Schloß stecken wollte.
Einer Schwindlerin aufgesessen. Auf eine Hochstaplerin hereingefallen. Und nicht nur er allein, sondern genauso Gerda und Dyrenhoff, der Jurist und Anwalt. Alle hereingefallen. Wie das nur möglich gewesen war? Heutzutage, wo man für jeden Dreck Zeugnisse, Papiere, Urkunden, Empfehlungsschreiben, Nachweise aller Art, Dokumente und weiß der Teufel was sonst noch vorweisen mußte. Fast unbegreiflich, daß Dyrenhoff nicht schon als ihr Scheidungsanwalt hinter diesen Schwindel gekommen war. Und noch viel unbegreiflicher, daß Severin es gewußt und in dem Scheidungsprozeß nicht gegen sie verwendet hatte!
Severin...! Was hatte der Mann ihm für einen haargenau berechneten Kinnhaken versetzt! Wie hatte er ihn auf die Bretter gelegt! Wenn Sie von Frankfurt zurückkommen, werden Sie den dringenden Wunsch haben, mich aufzusuchen, um von mir mehr zu erfahren... Im Augenblick verspürte er nicht das geringste Verlangen danach. Ihm genügte vollauf, was er erfahren hatte. Aber genügte es wirklich? Genügte es, um alles, was er für jene Frau empfunden hatte, mit einem Schlage zu vernichten? Was hatte er denn nun eigentlich
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