Eine Frau für Caracas
erfahren? Hatte sie ein Verbrechen begangen? Nun sag es doch einmal ganz genau! Sie hatte dem Reiz nicht widerstehen können — wie hatte Dr. Eyssing sich ausgedrückt — dem durch den gleichlautenden Namen verführerischen Reiz< — sich als Tochter einer angesehenen und wohlhabenden Frankfurter Familie auszugeben. Zum Patriziat und zu den feinen Leuten zu gehören... Dr. Eyssing hatte es nicht ausdrücklich betont, aber er wäre gewiß deutlicher geworden, wenn sie sich jemals durch den Mißbrauch seines Namens finanzielle Vorteile verschafft oder ihn gar zu Betrugsmanövern verwendet hätte. So bestand also der einzige Vorwurf, den man Anita Eyssing machen konnte, darin, daß sie eine Verwandtschaft vorgetäuscht hatte, die nicht bestand, und den gleichlautenden Namen dazu benutzt hatte, etwas aus sich zu machen. Hochstapelei? Ein schweres Wort! — Angabe... Ja, reine Angabe, nachdem sie wahrscheinlich schon als junges Ding die Erfahrung gemacht hatte, daß man als Tochter des Herrn Dr. Eyssing von der Verkäuferin eines Schuhgeschäfts, vom Friseur und von der Schneiderin ganz anders bedient und behandelt wurde, als wenn man die Tochter des kleinen Fabrikschlossers Friedrich Eyssing war.
Hindenberg ... Plötzlich fiel Werner der Name seines Klassenkameraden Walter Hindenberg ein. Wie hatten sie einmal über dessen Geschichte gelacht! Walter Hindenberg war in Westerland vom Portier seines Hotels ehrfürchtig begrüßt worden, hatte zwei Tage lang unter ungeheurem Alkoholkonsum — Sekt, der ihm von allen Seiten fast zwangsweise eingeflößt worden war — die Rolle eines Hindenburgenkels durchgestanden, und war hinterher in ein böses Gerichtsverfahren verwickelt worden, bei dem er alle Mühe hatte, nachzuweisen, daß er nie den Namen des alten Feldmarschalls mißbraucht habe, sondern in seine Rolle hineingedrängt worden sei und sie als Bierulk zwei Tage weitergespielt habe...
Zugegeben, es war kein Vergleich, kein Beispiel und keine Parallele zwischen Walter Hindenberg und Anita Eyssing. Oder bestand zwischen diesen Geschichten doch eine Verwandtschaft? Sicherlich, aber eigentlich doch erst dann, wenn Walter Hindenberg die ihm aufgezwungene Rolle ein wenig länger gespielt und sie gelegentlich wiederholt hätte. Wenn er Gefallen an ihr gefunden hätte! Das war der Unterschied. Anita Eyssing hatte an ihrer Rolle Gefallen gefunden. Und es war keine angenehme Vorstellung, ihr gegenüberzutreten und ihr den Schwindel auf den Kopf zuzusagen. Er sah die Szene bereits so deutlich vor sich, als stände er schon mitten drin: ihr Erschrecken, ihr Erstarren, ihre peinliche Beschämung, peinlich für sie beide, für ihn nicht weniger als für sie, das in die Hände vergrabene Gesicht hinter dem Vorhang der Haare, die zuckenden Schultern, den schrecklichen Tränenstrom, das hingestammelte Geständnis, ja, so sei es, aber sie hätte der Verlockung nicht widerstehen können... die kleinen und engen Verhältnisse daheim, und auf der anderen Seite die krummen Rücken, die Höflichkeit, der Diensteifer, die Devotion, der man begegnete, wenn man ein wenig unter falscher Flagge segelt... Oh, Werner, manchmal wußte ich selber nicht mehr, ob es Lüge oder Wahrheit war... Vielleicht wurde es für mich manchmal sogar Wahrheit, weil ich daran glauben wollte...
Und dann? Was erwiderte man ihr darauf? Hatte man sich in die Tochter des Fabrikanten und Inhabers der PHARMAG Dr. Eyssing oder hatte man sich in Anita Eyssing verliebt? War es nicht völlig gleichgültig, aus welchen Verhältnissen sie stammte?
So, und jetzt sage, was du ihr antworten wirst, wenn sie dir diese Frage stellt! So antworte doch!
»Ich kann dir darauf nicht antworten, Anita... noch nicht... Aber hör bitte endlich zu weinen auf! Es nützt doch nichts. Es ändert nichts an dem, was geschehen ist. — Nein, du hast gewiß kein Verbrechen begangen... Du bist auch keine Hochstaplerin... Aber du mußt mir ein wenig Zeit lassen, damit fertig zu werden... Ich bin natürlich verletzt... Die Blamage, verstehst du... Aber sie ist auch nicht so groß, daß ich darüber nicht hinwegkommen könnte... Nein, bitte, umarme mich jetzt nicht... Deine Lippen schmecken salzig... Armes Mädchen, nicht weinen, nun ja, es ist ja schließlich alles nicht so...«
Na also! Dann wären wir ja endlich wieder einmal bei der guten alten Madame de Staël angelangt und bei ihrem verdammten Tout comprendre c’est tout pardonner ! Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn und bemerkte im
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