Eine Frau für Caracas
Milchglasklappe neben der Tür zum Gastraum stand offen, denn ein Bub holte gerade in einem Maßkrug Bier und blies in den Schaum, um festzustellen, ob auch gut eingeschenkt worden sei. Die Kellnerin, blinkende Goldzähne unter einem dunklen Bartanflug, beugte sich heraus und fragte sichtlich erstaunt, ob der Herr etwa ein Quartier suche.
»Nein, schönen Dank, ich suche Herrn Severin.«
»Ah so, den Herrn Severin... Momenterl , bittschön!« und sich umdrehend schrie sie ins Lokal: »Herr Severin, B’such für Eahna !« Und zu Werner: »Er kimmt glei ’, is scho unterwegs!« Und eine Sekunde später, während die Tür sich öffnete: » Is scho do!« Und zog den Kopf zurück und ließ die Klappe zufallen, beides mit einer Geschwindigkeit, daß man befürchten mußte, eines Tages werde sie sich selber guillotinieren.
Severin zog die Gaststubentür hinter sich zu und hob die Hand zum Gruß.
»Schon zurück von Frankfurt?« fragte er ohne Ironie. Es klang auch nicht triumphierend. In seinem mageren, schönen Gesicht lag ein tiefer Ernst, und er ließ die halberhobene Hand mit der nach vorn geöffneten Handfläche sinken, als wolle er sagen: ich konnte Ihnen den Weg und die Enttäuschung leider nicht ersparen. Laut fügte er nach einer kleinen Pause hinzu: » Tcha , hier wohne ich also... Wie heißt es bei Brecht? Die Verhältnisse — sie sind mal so.« Er summte den Satz aus der Dreigroschenoper vor sich hin und lächelte entschuldigend.
»Kommen Sie«, sagte Werner, »dieses Lokal ist nicht das richtige für uns. Ich brauche eine ruhige Ecke. Lassen Sie sich von mir zu einem Schnaps einladen. Ich bin ihn Ihnen schuldig...«
»Danke, ich würde ihn annehmen, aber ich fange damit gar nicht mehr an.« Er deutete mit dem Daumen zur Treppe: »Meine Bude ist leider ungeeignet. Wir müßten uns aufs Bett setzen. Der einzige Rohrstuhl sieht wie der Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser aus.«
»Wissen Sie ein Café in der Nähe, wo man ungestört sitzen kann?«
»Ja — aber warten Sie einen Augenblick, ich hole nur noch Mantel und Hut.«
Er verschwand und kehrte sogleich wieder zurück: »Darf ich rechts gehen?« fragte er, »nicht aus Respektsgründen, weil ich vermutlich ein paar Jahre älter bin als Sie, aber ich habe eine Mittelohrentzündung durchgemacht und auf dem rechten Ohr ist etwas zurückgeblieben...«
»Nicht gerade angenehm für Ihren Beruf«, murmelte Werner und trat auf die linke Seite.
»Beruf — das dürfte für alle Zukunft vorbei sein«, sagte Severin ruhig, als hätte er sich damit schon lange abgefunden.
»Verzeihen Sie, ich bin nicht neugierig — aber irgendwie muß das Leben ja weitergehen. Und als Schauspieler hat man wohl nicht allzu viele Möglichkeiten, in einen verwandten Beruf überzuwechseln?«
»Einer meiner Freunde — einer der wenigen, die mir ihre Freundschaft erhalten haben — hat mir eine Stellung als Lektor in seinem Verlag angeboten. Ein großzügiges Angebot, denn der Verlag kann sich eigentlich keinen überflüssigen Posten leisten.«
Er führte Werner durch einige Gassen, die Werner noch nie betreten hatte, und machte vor einem kleinen Lokal halt, einem Mittelding zwischen Cafe und Eisdiele. Es gehörte einem Italiener, der klein und drahtig hinter der Nickeltheke die zischende Espressomaschine bediente. Ein Dutzend halbwüchsiger Burschen und Mädchen schleckten Eis aus muschelförmigen Waffeln und lauschten verzückt den neuesten Schlagern, die eine mit raffinierten Lichteffekten aufgeputzte Musikbox in erträglicher Lautstärke spielte. Weiter hinten im Lokal befanden sich ein paar Nischen, durch künstliche Efeuwände voneinander getrennt und von bunten kleinen Birnen beleuchtet, die in Schnüren darüber gezogen waren und einen sizilianischen Garten vortäuschen sollten, denn die Rückwand — wo es zu den Toiletten ging — bedeckte ein Riesengemälde, das die Bucht von Taormina und den Ätna im Hintergrund darstellen sollte. Sogar der Mond fehlte nicht, er schwebte als grinsender gelber Lampion vor der Szenerie. Aber die Liebespaare, denen er wissend und ermunternd zublinzelte, fehlten zum Glück.
»Bleiben wir hier?« fragte Severin.
»Ich habe nicht geahnt, daß es soviel Kitsch auf einem Haufen geben kann«, sagte Werner fast anerkennend.
Sie warfen ihre Mäntel und Hüte auf einen Stuhl, nahmen Platz und bestellten sich einen Espresso.
»Rauchen Sie, Herr Severin?« fragte Werner und bot Severin die Packung an.
»Danke, ja...« Severin ließ sein
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