Eine Frau in Berlin
hört schon allgemein, daß sie die Dicken suchen. Dick gleich schön, da mehr Weib, mehr unterschieden vom Mannskörper. Bei primitiven Völkern sollen die Dicken ja als Sinnbild von Fülle und Fruchtbarkeit in Ehren stehen. Da können sie in unserem Land jetzt lange suchen. Gerade die früher so fülligen älteren Frauen sind meistens schrecklich zusammengeschrumpft. Die Likörfabrikantin freilich hat keine Not gelitten. Sie hat den ganzen Krieg hindurch was zum Tauschen gehabt. Nun muß sie ihr ungerechtes Fett bezahlen.
Als ich hinunterkam, stand sie unten in der Haustür, wimmernd und zitternd. Sie ist aus dem Keller herausgerannt, konnte den Kerlen entwischen. Nun traut sie sich nicht in den Keller zurück, traut sich ebensowenig in ihre Wohnung vier Treppen hoch hinauf, da ab und zu von deutscher Seite Artilleriebeschuß. Sie hat auch Angst, daß die Kerle ihr nach oben folgen könnten. Sie krallt sich in meinen Unterarm, so fest, daß man ihre Nägelmale auf meiner Haut sieht, und fleht mich an, ich solle mit ihr zum »Kommandanten« gehen, um eine Eskorte bitten, irgendeine Art Schutz. Ich weiß nicht, was sie sich so vorstellt.
Ich spreche einen Vorüberkommenden mit Achselsternen an, versuche ihm die Angst der Frau zu erklären, wobei ich merke, daß mir die Vokabel »Angst« fehlt. Aber er winkt ungeduldig ab: »Ach was, niemand tut Ihnen was, gehen Sie nach Hause.« Die schluchzende Frau wankte schließlich treppauf. Hab sie seither nicht mehr gesehen, sie muß sich oben verkrochen haben. Ganz gut so. Sie wirkte zu stark als Lockvogel.
Kaum war ich wieder oben, kommt das Portiersmädel, das offenbar zur Botin abgerichtet ist, erneut heraufgerannt. Wieder Männer im Keller. Diesmal wollen sie die Bäckerin, die es ebenfalls fertiggebracht hat, etliches Körperfett über die Kriegsjahre hinwegzuretten.
Der Meister kommt mir im Gang entgegengewankt, ist weiß wie sein Mehl, streckt mir die Hände entgegen, stammelt: »Die sind bei meiner Frau...« Seine Stimme bricht. Eine Sekunde lang hab ich das Gefühl, in einem Theaterstück mitzuspielen. Unmöglich kann ein bürgerlicher Bäckermeister sich so bewegen, solche Herztöne in seine Stimme legen, so nackt, so aufgerissen wirken, wie ich es bis jetzt nur an großen Schauspielern erlebte.
Im Keller. Die Petroleumlampe brennt nicht mehr, der Stoff ging wohl aus. Beim Flackerschein eines Kerzenflämmchens auf einem mit Talg gefüllten Pappdeckel, einem sogenannten Hindenburglicht, erkenne ich das Kalkgesicht der Bäckerin, den zuckenden Mund... Drei Russen stehen neben ihr. Mal zerrt der eine am Arm der im Liegestuhl daliegenden Frau, mal stößt der andere sie, die hoch will, wieder auf den Sitz zurück. Es ist, als sei sie eine Puppe, ein Ding.
Derweil unterhalten sich die drei Männer sehr schnell miteinander; offenbar streiten sie sich. Ich verstehe wenig, sie reden Slang. Was tun? »Kommissar«, stottert der Bäcker. Kommissar, das bedeutet: irgendeinen, der etwas zu sagen hat. Ich – auf die Straße, die nun entspannt und abendfriedlich daliegt. Beschuß und Brandröte sind fern. Ich treffe ausgerechnet auf den Offizier, der soeben die Likörfabrikantin abgefertigt hat, spreche ihn in meinem höflichsten Russisch an, bitte um Hilfe. Er begreift und zieht ein saures Gesicht. Zögernd, unwillig folgt er mir schließlich.
Im Keller noch Schweigen und Starre. Es ist, als seien all diese Menschen, die Männer, Frauen und Kinder, versteinert. Von den dreien bei der Bäckerin hat sich einer inzwischen verzogen. Die beiden anderen stehen immer noch an ihrer Seite und streiten sich.
Der Offizier mischt sich in das Gespräch, ohne Befehlston, von gleich zu gleich. Ich verstehe mehrmals den Ausdruck »Ukas Stalina« – Stalins Erlaß. Dieser Erlaß scheint davon zu handeln, daß »sowas« nicht vorkommen dürfte. Kommt aber natürlich doch vor, wie mir der Offizier nun achselzuckend zu verstehen gibt. Einer der beiden Ermahnten widerspricht. Sein Gesicht ist zornig verzerrt: »Was denn? Wie haben's denn die Deutschen mit unseren Frauen gemacht?« Er schreit: »Meine Schwester haben sie...«, und so fort, ich verstehe nicht alle Worte, jedoch den Sinn.
Wieder redet der Offizier eine Weile ganz ruhig auf den Mann ein. Dabei entfernt er sich langsam in Richtung der Kellertür, hat die beiden auch schon draußen. Die Bäckerin fragt heiser: »Sind sie weg?«
Ich nicke, gehe aber vorsichtshalber noch mal hinaus in den dunklen Gang. Da haben sie mich. Die
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