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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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sommerlich heiß. Ich spüre ein fremdes, schwer faßliches Etwas in der Luft, bös und bedrohlich. Manche Kerls blicken so scheu an mir vorbei, tauschen Blicke. Einer, ein junger Mensch, klein und gelb, mit einer Alkoholfahne, verwickelt mich in ein Gespräch, will mich abseits in den Hof locken, weist auf zwei Uhren an seinem haarigen Unterarm, von denen er mir die eine schenken will, wenn ich mit ihm Ich weiche in den Kellergang zurück, drücke mich über den Innenhof, meine schon, ich hätte ihn abgeschüttelt, da steht er plötzlich neben mir und schlüpft mit in unseren Keller. Er taumelt von Balken zu Balken, leuchtet mit einer Stablampe die Kellergesichter ab, wohl vierzig an der Zahl, läßt den Lichtkegel zuckend auf Frauengesichtern verweilen.
    Der Keller gefriert. All die Menschen sind wie erstarrt. Keiner rührt sich, keiner spricht. Man hört gepreßte Atemzüge. Nun macht der Lichtkegel bei der Achtzehnjährigen halt, bei Stinchen mit dem weißleuchtenden Kopfverband, die in einem Liegestuhl ruht. Drohend fragt der Russe auf deutsch, wobei er auf das Mädchen zeigt: »Wieviel Jahr?«
    Keiner antwortet. Das Mädchen liegt wie aus Stein da. Nochmals brüllt der Russe, rauh und wütend: »Wieviel Jahr?«
    Ich antworte hastig auf russisch: »Das ist eine Studentin, sie ist achtzehn.« Ich will noch sagen, daß sie am Kopf verletzt ist, finde die Vokabeln nicht und helfe mir mit dem internationalen Wort kaputt: »Kopf kaputt, von Bomben.«
    Nun folgt ein Gespräch zwischen dem Mann und mir, ein hastiges Hin und Her von Frage und Antwort, das aufzuschreiben sinnlos wäre, weil es sinnlos war. Es handelte von Liebe, von wahrer Liebe, von heißer Liebe, daß er mich liebt, ob ich ihn liebe, ob wir uns lieben wollen. »Vielleicht«, sage ich und bewege mich schrittweise auf die Tür zu. Der Kerl geht mir auf den Leim. Das Kellervolk ringsum, immer noch schreckensstarr, begreift nicht im entferntesten, was hier vorgeht.
    Ich schäkere mit flatternden Händen, bringe vor Herzklopfen kaum die paar Vokabeln heraus. Schaue dem Mann in die schwarzen Augen und wundere mich über seine gelben, gelbsüchtigen Augäpfel. Schon sind wir draußen im halbdunklen Gang, ich tripple rückwärts vor ihm her, er kennt sich in diesem Labyrinth nicht aus, folgt mir. Ich flüstere: »Dort hinüber. Dort sehr schön. Keine Leute.« Noch drei Schritte, zwei Stufen – und wir stehen auf der Straße, mitten in der grellen Mittagssonne.
    Ich renne sogleich zu meinen beiden Pferdepflegern, die gerade ihre Gäule striegeln. Ich zeige auf meinen Verfolger: »Das ist aber ein Schlimmer, hahaha!« Der Bursche mißt mich mit einem Giftblick und verdrückt sich. Die Pferdestriegler lachen. Ich schwatze eine Weile mit ihnen und erhole mich dabei. Die Hände beruhigen sich wieder.
    Während ich draußen palaverte, war unser Keller von etlichen Helden, die nicht weiter nach Frauen ausschauten, auf Uhren abgesammelt worden. Später sah ich manchen Iwan mit einer ganzen Uhrenkollektion an seinen beiden Unterarmen – mit fünf, sechs Stück, die er fortwährend verglich, aufzog, stellte – mit kindischer und diebischer Freude.
    Unsere Ecke ist nun Biwak. Der Troß richtet sich in den Läden und Garagen ein. Die Pferde fressen Hafer und Heu, drollig nicken sie mit den Köpfen aus den zerschlagenen Schaufenstern. Es liegt eine Art Erleichterung in der Luft: Na schön, die Uhren sind futsch. »Woina kaputt«, wie die Russen sagen; für uns ist der Krieg kaputt, aus. Der Sturm rauschte über uns weg, wir sind im Windschatten.
    So dachten wir.
    Gegen 18 Uhr ging es los. Einer kam in den Keller, Bullenkerl, stockbesoffen, fuchtelte mit seinem Revolver herum und nahm Kurs auf die Likörfabrikantin. Die oder keine. Er jagte sie mit dem Revolver quer durch den Keller, stieß sie vor sich her zur Tür. Sie wehrte sich, schlug um sich, heulte – als plötzlich der Revolver losging. Der Schuß haute zwischen die Balken, in die Mauer, ohne Schaden anzurichten. Darob Kellerpanik, alle springen auf, schreien... Der Revolverheld, offenbar selbst erschrocken, schlug sich seitwärts in die Gänge.
    Gegen 19 Uhr saß ich mit der Witwe oben in der Wohnung friedlich beim Abendbrei, als Portiers Jüngste mit Geschrei hereingestürzt kam: »Kommen Sie schnell runter, Sie müssen russisch mit denen reden, es sind wieder welche hinter der Frau B. her.« Also wieder die Likörfabrikantin. Sie ist weitaus die Dickste von uns allen, mit gewaltig ausladendem Busen. Man

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