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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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so plagten. Wahrscheinlich, um die Glieder zu rühren oder um wieder mal vor dem Künftigen ins handfeste Gegenwärtige zu fliehen.
    Zwischendurch krochen wir immer wieder ans Fenster. Draußen fuhr ein endloser Troß auf. Pralle Stuten, Fohlen zwischen den Beinen. Eine Kuh, die dumpf nach dem Melker muhte. Schon schlagen sie in der Garage gegenüber ihre Feldküche auf. Zum ersten Mal erkennen wir Typen, Gesichter: pralle Breitschädel, kurzgeschoren, wohlgenährt, unbekümmert. Nirgendwo ein Zivilist. Noch sind die Russen auf den Straßen ganz unter sich. Doch unter allen Häusern flüstert es und bebt. Wer das jemals darstellen könnte, diese angstvoll verborgene Unterwelt der großen Stadt. Das verkrochene Leben in der Tiefe, aufgespalten in kleinste Zellen, die nichts mehr voneinander wissen.
    Draußen Blauhimmel, wolkenloses Leuchten.
    Über Mittag – die Hamburgerin und ich holten eben den zweiten Kessel voll Graupensuppe, die für das ganze Kellervolk in der Backstube beim Bäcker gekocht worden war – fand der erste Feind den Weg in unseren Keller. Ein Bauerntyp mit roten Backen, seine Augen zwinkerten, als er beim Schein der Petroleumlampe das Kellervolk musterte. Zögernd trat er ein, zwei Schritte auf uns zu.
    Herzklopfen. Ängstliche halten ihm ihren gefüllten Suppenteller hin. Er schüttelt den Kopf und lächelt, immer noch stumm.
    Da sagte ich meine ersten russischen Worte, krächzte sie, da plötzlich heiser: »Schto wiy shelaitje?« (Was wünschen Sie?)
    Der Mann fährt herum, starrt mich verblüfft an. Ich merke, daß ich ihm unheimlich bin. Es scheint ihm noch nicht passiert zu sein, daß eine »Stumme« ihn in seiner Sprache anredet. Denn »Njemze«, soviel wie »die Stummen«, nennt der Russe in seiner Alltagssprache die Deutschen. Vermutlich bereits seit den Zeiten der deutschen Hanse, vor 500 Jahren, als die stumm in Zeichensprache mit ihnen handelnden Kaufleute in Nowgorod und anderswo Tuche und Spitzen gegen Pelze und Wachs eintauschten.
    Dieser Russe jedenfalls sagt nichts auf meine Frage; er schüttelt bloß den Kopf. Ich frage weiter, ob er vielleicht etwas zu essen haben will. Da grinst er ein wenig und sagt auf deutsch: »Schnaaps.«
    Schnaps? Allgemeines bedauerndes Kopfschütteln. Hier unten gibt es keinen Alkohol. Wer noch etwas hat, der hat es gut versteckt. Der Iwan trollt sich wieder, sucht sich den Rückweg durch das Labyrinth der Gänge und Höfe.
    Auf unserer Straße munterer Soldatenbetrieb. Zusammen mit zwei, drei anderen Frauen wage ich mich vor, schaue dem Trubel zu. In unserem Torweg putzt ein junger Kerl ein Motorrad, eine fast neue deutsche Zündappmaschine. Er hält mir den Lappen hin, fordert mich mit Gesten auf weiterzuputzen. Als ich ihm auf russisch sage, daß ich dazu keine Lust habe, und sogar dazu lache, blickt er mich überrascht an und lacht dann zurück.
    Auf dem Fahrweg radeln etliche Russen auf frisch geklauten Rädern. Sie bringen sich gegenseitig das Fahren bei, sitzen so steif auf dem Sattel wie die radfahrende Schimpansin Susi im Zoo, prallen gegen die Bäume und krähen vergnügt.
    Ich spüre, wie einige Ängste von mir weichen. Denn schließlich sind ja auch Russen »bloß Männer«, denen man auf irgendeine weibliche Art, mit Listen und Kniffen, beikommen könnte; die man hinhalten, ablenken, abwimmeln kann.
    Überall auf den Bürgersteigen Pferde, sie misten und strahlen. Kräftiger Stallduft. Zwei Soldaten wollen von mir wissen, wo die nächste Pumpe sei – die Pferde seien durstig. Zusammen stapfen wir die Viertelstunde weit durch die Gärten. Freundlicher Ton, gutmütige Gesichter. Zum ersten Mal hörte ich die Fragen, die später immer wiederkehrten: »Haben Sie einen Mann?« Wenn man ja sagt, wird weitergefragt, wo er sei. Wenn nein, folgt die Frage, ob man nicht einen Russen »heiraten« wolle. Woran sich plumpes Geschäker schließt.
    Anfangs duzten mich die beiden. Ich wies das zurück, sagte, daß ich meinerseits sie ja auch nicht duze. Wir gingen den öden grünen Weg entlang. Über uns flogen im Bogen die Geschosse der Artillerie. Die deutsche Linie liegt zehn Minuten vor uns. Keine deutschen Flugzeuge mehr sichtbar, kaum hört man noch deutsche Flak. Kein Leitungswasser mehr, kein Strom, kein Gas, gar nichts. Bloß Iwans.
    Zurück mit den Wassereimern. Die Pferde trinken. Froh sehen die beiden Troßmänner ihnen zu. Ich schlendere so herum, schwatze mit diesem und jenem Russen. Der Mittag geht vorüber, nun brennt die Sonne fast

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