Eine Frau in Berlin
Bastsandalen gesehen haben und die hastigen Neubauten, auf die sie so stolz sind – und die nun wie ich Dreck sind unter ihren Soldatenstiefeln. Dafür haben es die anderen, die kein Wort ihrer Sprache verstehen, leichter. Sie bleiben diesen Männern fremder, können tiefere Gräben legen und sich einreden, das da seien gar keine Menschen, bloß Wilde, bloß Vieh. Das kann ich nicht. Ich weiß, daß sie Menschen sind wie wir; freilich, so scheint es mir, auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe, als Volk jünger, noch näher ihren Ursprüngen als wir. So ähnlich haben sich wohl die Teutonen aufgeführt, als sie in Rom eindrangen und sich wohlduftende, künstlich gelockte, mani- und pedikürte besiegte Römerinnen griffen. Wobei das Besiegtsein unbedingt der Paprika auf dem Fleisch ist.
Es war etwa 18 Uhr, als es plötzlich Geschrei gab im Treppenhaus. Heftiger Dactylus gegen unsere Tür: »Die Keller sind geplündert worden!« Andrej, auf unserem Sofa sitzend, nickt dazu. Er wußte es schon seit Stunden, so sagt er, und er rät uns, gleich nach unseren Sachen zu sehen.
Unten das Chaos: zerschlagene Bretterwände, abgerissene Schlösser, die Koffer aufgeschlitzt und zertreten. Wir stolpern über fremden Kram, trampeln auf Wäsche herum, die noch sauber in den Plättbrüchen liegt. Mit einem Kerzenstumpf leuchten wir in unseren Winkel, greifen dies und das, Handtücher, eine Speckseite an der Strippe. Die Witwe jammert, ihr großer Koffer sei verschwunden, in den sie ihre besten Kleidungsstücke gelegt habe. Sie kippt irgendeinen fremden, aufgerissenen Koffer im Gang aus und macht sich daran, die paar restlichen eigenen Habseligkeiten hineinzufüllen. Mit den Händen schaufelt sie verschüttetes Mehl vom Boden, stäubt es lose in den Koffer hinein, wie von Sinnen. Links und rechts wühlen bei Kerzengeflacker die Nachbarn. Man hört schrille Ausrufe und Gejammer. Bettfedern wirbeln durch die Luft, es riecht nach vergossenem Wein und Kot.
Aufwärts. Wir schleppen unseren Kram. Andrej ist die Plünderung sichtbar peinlich. Er tröstet uns, sagt, es sei vermutlich alles nur verschmissen und durcheinandergeworfen, aber nicht verschwunden; denn die Einbrechenden hätten bestimmt bloß Alkohol gesucht. Wanja, das Kind, inzwischen auch wieder eingetroffen, verspricht der Witwe mit ernstem Blick in seinen schwarzen Augen, halb deutsch, halb russisch, daß er uns morgen früh bei Tagesschein hinuntergeleiten und uns zur Seite bleiben werde, bis alles gefunden sei, was uns gehöre.
Die Witwe weint, sie erinnert sich, immer wieder aufschluchzend, an einzelne Sachen aus ihrem Koffer; an das gute Kostüm, das Strickkleid, die festen Schuhe. Auch ich bin tief niedergeschlagen. Rechtlos sind wir, Beute, Dreck. Unsere Wut entlädt sich auf Adolf. Bange Fragen: Wo steht die Front? Wann wird Friede?
Während wir an Herrn Paulis Bett, in das er sich nach dem Mittagessen wieder zurückgezogen hatte, miteinander flüstern, hält Andrej nebenan mit den Seinen um den Mahagonitisch herum Kriegsrat. Plötzlich fliegen alle Fensterflügel auf, Pappstücke sausen durchs Zimmer, ein Knall, mich wirbelt es an die gegenüberliegende Wand. Ein Knirschen, eine Kalkwolke im Zimmer, draußen ein Mauersturz... Wie wir eine halbe Stunde später von Nachbarn erfuhren, war eine deutsche Granate aufs Nebenhaus gefallen, hatte etliche Russen verwundet und ein Pferd getötet. Am nächsten Morgen fanden wir es im Innenhof: das Fleisch sauber abgetrennt, auf blutbeschmiertem Bettlaken liegend, daneben auf rotfeuchter Erde das fettige Geschling der Eingeweide.
Wie der Abend verlief, ist mir im Augenblick entfallen. Vermutlich Schnaps, Brot, Hering, Büchsenfleisch, Beischlaf, Anatol. Nun hab ich es doch wieder: eine ganze Runde von Russen, von uns bekannten und von neuen, um unseren Tisch herum. Immer wieder zogen sie ihre Uhren, verglichen ihre Zeit, die Moskauer Zeit, die sie mitgebracht haben und die der unsrigen um eine Stunde voraus ist. Einer hatte eine dicke, ehrsame Bauernzwiebel dabei, Marke Ostpreußen, mit ölgelbem, hochgewölbtem Zifferblatt. Warum sie bloß so hinter Uhren her sind? Es ist nicht deren Geldwert; denn nach Ringen, Ohrringen, Armbändern äugen sie längst nicht so, übersehen dergleichen, wenn sie wieder eine Uhr ergattern können. Wahrscheinlich liegt es daran, daß drüben in ihrem Land noch längst nicht jeder eine Uhr bekommen kann. Er muß schon was sein, was vorstellen, bevor er solch eine heißbegehrte Armbanduhr
Weitere Kostenlose Bücher