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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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mich zum stummen Abschied mit einem bösen Blick.
    Nun Erinnerungslücken. Trank wieder sehr viel, weiß keine Einzelheiten mehr. Finde mich erst wieder im Morgengrauen des Montags, beim Gespräch mit Anatol, das zu einem kleinen Mißverständnis führte. Ich, zu ihm: »Du bist ein Bär.« (Das Wort ist mir vertraut, Medwjed, so hieß früher ein bekanntes russisches Speiselokal an der Tauentzienstraße.)
    Darauf Anatol, in der Meinung, daß ich hier Wörter durcheinanderwerfe, sehr geduldig, wie zu einem Kinde sprechend: »Nein, das ist falsch. Ein Medwjed ist ein Tier. Ein braunes Tier im Wald, es ist groß und brummt. Ich aber bin ein Tschellawek, ein Mensch.«

Rückblick auf Montag, 30. April 1945
    Morgenfrühe, grau und rosa. Kalt bläst es durch die Fensterhöhlen, Rauchgeschmack im Mund. Wieder Hahnenkrähen. Die frühe Stunde hab ich für mich allein. Ich wische, fege Zigarettenhülsen, Gräten und Brotkrümel auf, reibe die Schnapsringe von der Tischplatte. Dann sparsame Morgenwäsche im Bad, mit zwei Tassen voll Wasser. Zwischen fünf und sieben Uhr früh, wenn die Witwe und Herr Pauli noch schlafen, liegt meine glücklichste Stunde, soweit das Wort Glück jetzt angebracht ist. Es ist ein relatives Glück. Ich flicke und stopfe ein wenig und seife mein zweites Hemd ein. Um diese Zeit, das wissen wir, kommt uns kein Russe dazwischen.
    Ab acht Uhr wieder der übliche Betrieb durch die offene Hintertür. Allerlei fremdes Mannsvolk. Plötzlich sind zwei oder drei da, drücken sich um mich und die Witwe herum, suchen uns anzufassen, sind gierig wie die Füchse. Meistens kommt aber einer von den uns bereits Bekannten und hilft uns, die Fremden abzuwimmeln. Ich hörte, wie Grischa ihnen das Tabu steckte, wie er Anatols Namen nannte. Und ich bin ganz stolz darauf, daß es mir wirklich gelungen ist, mir einen der Wölfe zu zähmen, wohl den stärksten aus dem Rudel, damit er mir den Rest des Rudels fernhalte.
    Gegen zehn Uhr stiegen wir zu den Buchhändlersleuten hinauf, hinter deren ausgezeichneten Sicherheitsschlössern immer noch ein Dutzend Hausbewohner Zuflucht sucht. Auf unseren Klopf-Dactylus ließ man uns hineinschlüpfen; es war ein Treffen der Hausbewohner angesetzt.
    Gedränge von Männern und Frauen. Ich erkannte das Kellervolk gar nicht so schnell wieder. Manche sehen unglaublich verändert aus. Fast alle Frauen haben mit einem Mal graues oder weißgesträhntes Haar; ihnen fehlt die gewohnte Friseurfarbe. Auch die Gesichter wirken fremd und zerrüttet und alt.
    Wir plazieren uns um den Tisch, in großer Hast, voll Angst, daß unsere »Versammlung« den Russen auffallen und von ihnen mißdeutet werden könnte. In schnellstem Tempo, so schnell ich sprechen kann, teile ich mit, was ich an Neuigkeiten aus russischen Zeitungen weiß und von den Russen, hauptsächlich von Andrej und Anatol, erzählt bekam: Kreis um Berlin geschlossen; alle Vororte besetzt, bloß Tiergarten und Moabit noch umkämpft; massenhaft Generäle gefangen; Hitler soll tot sein, doch Genaues weiß man nicht; Goebbels soll Selbstmord begangen haben; Mussolini soll von Italienern erschossen worden sein; die Russen stehen an der Elbe, haben sich dort mit den Amerikanern getroffen und verbrüdert.
    Gierig horchen alle, das alles war hier neu. Ich schaute mich um, fragte die Hamburgerin nach ihrer Tochter, nach Stinchen mit dem Kopfverband. Und ich bekomme mit s-pitzen S-Lauten die Antwort, daß die Achtzehnjährige auf den Hängeboden der Wohnung hinaufgezogen sei und dort oben unter der Küchendecke alle Nächte und den größten Teil der Tage verbringe. Von Hängeböden ahnen die Russen nichts. Solche komischen Kabusen kennen sie bei sich zu Hause nicht. Früher tat man die Koffer hinauf; noch früher sollen die Hausmädchen dort genächtigt haben. Jetzt vegetiert also Stinchen in dem engen, muffigen Gelaß, mit Bettzeug, Nachtgeschirr, Kölnisch Wasser. Und sooft Schritte hörbar werden oder sonstwie Lärm ertönt, zieht sie, so sagt die Mutter, schnell die Tür zu ihrem Gelaß zu. Jedenfalls ist Stinchen noch Jungfrau.
    Wir tappten wieder abwärts. Längst ist unser Haus Soldatenhaus. Überall Geruch von Gäulen. Stücke von Pferdemist liegen herum, an den Soldatenstiefeln hereingeschleppt. Sie tun sich keinen Zwang an, die Sieger. Sie pissen an die Wände, wo immer sie wollen. Urinlachen stehen auf den Treppenpodesten und unten im Hausflur. Es heißt, daß sie es in den verlassenen, ihnen preisgegebenen Wohnungen nicht anders

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