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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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erwischt, das heißt, sie vom Staate zugeteilt bekommt. Und nun wachsen die Uhren auf einmal wie Radieschen in ungeahnter Fülle für jeden, der sie pflücken will. Mit jeder neuen Uhr wird der Besitzer einen Machtzuwachs verspüren. Mit jeder Uhr, die er drüben verschenken und vergeben kann, wächst sein persönliches Gewicht. So wird es sein. Denn sie wissen die Uhren nicht nach ihrem Geldwert zu unterscheiden. Sie bevorzugen Stücke mit Kinkerlitzchen, zum Beispiel mit Stoppuhr, oder mit Drehzifferblatt unter einer Metallhülse. Auch ein buntes Bildchen auf dem Zifferblatt ist für sie Lockspeise.
    Ich sah all die Hände der Männer auf unserem Tisch liegen und verspürte jäh Ekel. Sie kamen mir so nackt vor – was klebt alles daran? Schnell Schnaps drauf getrunken, sie rufen »Wyipitj nado«, sooft ich ansetze, und feiern jeden meiner Schlucke wie eine anerkennenswerte Tat. Diesmal außer Schnaps auch Rotwein, wohl Kellerbeute. Eine Kerze, auf eine Untertasse gepappt, gab Flackerschein und warf die slawischen Profile an die Wand.
    Zum ersten Mal eine Runde von echten Diskutierern. Mindestens drei Hochbegabte darunter: Einmal Andrej, der Schullehrer und Schachspieler mit seinem eisblauen Blick; beherrscht und leise sprechend wie immer. Dann ein Kaukasier, mit Nasenhaken und Funkelblick. (»Ich bin kein Jude, ich bin ein Georgier«, so führte er sich bei mir ein.) Er ist ungemein belesen, zitiert fließend in Vers und Prosa, ist sehr beredt und so flink wie ein Florettfechter. Die dritte Intelligenzbestie ist auch ein Neuer. Ein blutjunger Leutnant, heute abend erst durch einen Splitter verwundet, mit notdürftig verbundenem Schienbein, an einem deutschen Wanderstock humpelnd, der mit allerlei Wanderplaketten aus bekannten Orten im Harz verziert ist. Der Leutnant ist weißblond und blickt düster drein. Seine Redeweise ist hämisch. Einmal sagt er: »Ich als intelligenter Mensch –«, worauf ihm der Kaukasier ins Wort fällt: »Hier sind einige intelligente Menschen – die Njemka zum Beispiel.« (Das bin ich.)
    Diskussion über den Kriegsursprung, den sie im Faschismus sehen, in seiner Struktur, die zu Eroberungen drängt. Kopfschüttelnd geben sie zu verstehen, daß nach ihrer Meinung Deutschland keineswegs einen Krieg nötig gehabt hätte – es sei doch ein reiches, wohlbestelltes, kultiviertes Land, auch jetzt noch, trotz der Zerstörungen. Eine Weile disputierten sie über den kümmerlichen Frühkapitalismus, dessen Erbe die russische Revolution antrat, und über den fortgeschrittenen, reichen, auch in der Fäulnis fortgeschrittenen Spätkapitalismus, den sie bei uns zu sehen glauben. Mit zögernden, plötzlich sehr vorsichtigen Argumenten betonen sie, daß ihr Land erst am Beginn einer großen Entwicklung stehe, daß es von seiner Zukunft her gesehen, beurteilt, verglichen werden müsse...
    Einer weist auf die Möbel ringsum (Stil 1800) und findet darin überlegene Kultur. Schließlich geraten sie auf das Thema »Degeneration« und streiten sich darüber, ob wir Deutschen degeneriert seien oder nicht. Sie genießen das Spiel; flottes Hin und Her der Argumente, Andrej lenkt das Gespräch mit ruhigem Zügelgriff.
    Zwischendurch bösartige Ausfälle des Blonden, Verwundeten gegen mich persönlich. Spott und Hohn über Deutschlands Eroberungspläne, seine Niederlage. Die anderen gehen nicht auf diesen Ton ein, lenken schnell ab, verweisen ihm seine Rede, zeigen Siegertakt.
    In das Palaver hinein platzt Anatol, müde vom Dienst, gähnend. Er hockte sich dazu, langweilte sich aber sehr. Da kann er nicht mit. Er ist vom Land. Er hat mir erzählt, daß er auf seinem Kolchos für die Milch verantwortlich war, also etwa Molkereileiter. Darauf ich: »Ach, wie interessant.« Er: »Na, es geht, weißt du, immer Milch, bloß Milch...« Und er seufzte. Nach einer halben Stunde des Dabeisitzens zog er wieder ab, ließ die Diskutierer weiterreden.
    Nebenan schlief Herr Pauli. Wieder hatte die Witwe sich in seiner Nähe ihr provisorisches Nachtlager gerichtet. Sonst ist die Lage klar: Hausrecht für einige Hausfreunde, wenn man das so nennen kann, sowie für die von Anatol eingeführten Leute seiner Truppe. Nachtrecht jedoch allein für den Häuptling Anatol. Ich bin im übrigen jetzt wirklich Tabu, wenigstens für heute. Was morgen wird? Keiner weiß es. Anatol kreuzte gegen 12 Uhr nachts wieder auf; von selbst verzog sich daraufhin die Tafelrunde. Zuletzt humpelte der Weißblonde an seinem Wanderstock hinaus und maß

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