Eine Frau in Berlin
meiner Würde. Es ist immerhin ein altes, ehrwürdiges Gewerbe und reicht hinauf bis in die höchsten Kreise. Ein einziges Mal allerdings nur hab ich mit einer solchen Frau gesprochen; das heißt mit einer eingetragenen, offiziell diesem Beruf nachgehenden Frau. Es war auf einem Schiff im Mittelmeer, irgendwo nahe der afrikanischen Küste; ich war sehr früh aufgestanden und trieb mich an Deck herum, während noch Matrosen die Planken schrubbten. Eine Frau war auch schon auf, mir unbekannt, dicklich, bescheiden angetan, zigarettenrauchend. Ich stellte mich zu ihr an die Reling, sprach sie an. Sie konnte ein paar Brocken Englisch, nannte mich MISS, bot mir eine Zigarette aus ihrer Schachtel und lächelte dazu. Später fing mich der Obersteward ab und teilte mir in dramatischem Flüsterton mit, das da sei eine schlechte Person; man müsse sie mitnehmen, lasse sie aber nur in der Frühe, wenn gewöhnlich noch keiner von den Passagieren auf sei, an Deck. Ich sah sie später nicht mehr, sehe aber noch ihr dickliches, freundliches Frauengesicht vor mir. Was das schon heißt – schlecht!
Aber könnte ich, vom Moralischen mal ganz abgesehen, in dieses Gewerbe hineinrutschen, mir darin gefallen? Nein, niemals. Es geht mir wider die Natur, kränkt mein Selbstgefühl, zerstört meinen Stolz – und macht mich körperlich elend. Da also hat es keine Not. Ich steige aus diesem Gewerbe, wenn ich mein derzeitiges Tun schon so nennen muß, mit tausend Freuden aus – wenn ich nur mein Essen wieder auf andere, angenehmere, meinem Stolz besser zusagende Weise verdienen kann.
Gegen 22 Uhr verstaute der Major seinen Usbeken hinter der Küche in die Kammer. Wieder klirrt ein Koppel am Bettpfosten, baumelt der Revolver herab, krönt die Soldatenmütze den Pfostenknauf. Aber die Kerze brennt noch, und wir erzählen uns allerlei. Das heißt, der Major erzählt, er berichtet mir von seinen Familienverhältnissen und kramt aus seiner Brieftasche kleine Photobildchen heraus. Zum Beispiel ein Bild von seiner Mutter, die zu weißem Haar wilde, schrägschwarze Augen hat. Sie stammt aus dem Süden des Landes, wo von jeher die Tataren saßen, und hat einen weißblonden Sibirier geheiratet. Äußerlich hat der Major viel von seiner Mutter. Sein Wesen wird mir nun aus dieser nordsüdlichen Blutmischung verständlich: seine Sprunghaftigkeit, der Wechsel von Hast und Schwere, von Feuer und Melancholie, seine lyrischen Aufschwünge und die plötzliche Mißlaune hinterher. Er war verheiratet, ist seit langem geschieden, war offenbar ein schwieriger Partner, wie er selber gesteht. Kinder hat er keine. Das ist etwas sehr Seltenes bei einem Russen. Ich merkte es daran, daß sie immer gleich fragten, ob ich Kinder hätte, und mir gegenüber kopfschüttelnd ihre Verwunderung darüber kundtaten, daß es bei uns so wenig Kinder gibt und so viele Frauen ohne Kind. Auch der Witwe wollen sie gar nicht glauben, daß sie keine Kinder hat.
Noch ein Photo zeigt mir der Major, das Porträt eines sehr gut aussehenden, streng gescheitelten Mädchens, Tochter eines polnischen Universitätsprofessors, bei dem der Major im letzten Winter in Quartier lag.
Als der Major meine familiären Verhältnisse anbohrt, weiche ich aus, mag davon nicht sprechen. Er will dann wissen, welche Schulbildung ich genossen habe, vernimmt achtungsvoll, was ich ihm vom Gymnasium und den gelernten Fremdsprachen und meinen Reisen kreuz und quer durch Europa berichte. Er sagt anerkennend: »Du hast eine gute Qualifikation.« Wundert sich dann unvermittelt, daß die deutschen Mädchen alle so schlank und fettlos seien – ob wir so wenig zu essen bekommen hätten? Er malt sich dann aus, wie es wäre, wenn er mich mitnähme nach Rußland, wenn ich seine Frau wäre, seine Eltern kennenlernte... Er verspricht, mich dort mit Hühnchen und Sahne dickzufüttern, denn vor dem Krieg habe man bei ihm daheim recht gut gelebt... Ich lasse ihn spinnen. Fest steht, daß meine »Bildung« – die er freilich nach bescheidenem Russenmaßstab mißt – ihm Achtung einflößt, mich in seinen Augen begehrenswert macht. Gewiß ein Unterschied zu unseren deutschen Männern, für die nach meinen Erfahrungen Belesenheit keineswegs den Reiz einer Frau erhöht. Im Gegenteil, instinktiv hab ich mich stets ein bißchen dümmer und unwissender gestellt den Männern gegenüber oder hab doch hinterm Berge gehalten, bis ich sie näher kannte. Der deutsche Mann möchte stets der Klügere sein und sein kleines Frauchen
Weitere Kostenlose Bücher