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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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wohl nicht mehr wiederkehren werde, versuchte ich, ihm möglichst viel Bettzeit zu rauben. Ich ließ mir seine Post einzeln durchklamüsern, fragte alles mögliche, ließ ihn erzählen, mir die Karte von Berlin erläutern, den Frontverlauf. Ich munterte auch die Seinen zum Trinken und Plattenspielen auf, hieß sie singen, was sie gerne taten, bis Anatol sie abwimmelte. Im Bett machte ich weitere Sperenzchen und sagte ihm schließlich, nachdem er einmal seinen Willen bekommen hatte, daß nun ein Punkt gemacht werden müßte; daß ich müde sei, kaputt, ruhebedürftig. Ich hielt ihm moralische Vorträge und suggerierte ihm, daß er doch bestimmt keiner von den »Hooliganen« sei, sondern ein rücksichtsvoller, kultivierter, zartfühlender Mann. Er schleckte die süße Speise, wenn auch sehr widerstrebend und mit Rückfällen ins Mann-Stierische, die ich abbremsen konnte. Geschlafen hab ich freilich auf die Art keine Minute. Immerhin wurde es endlich drei, und Anatol mußte davon. Freundlicher Abschied von dem warmen Vollblut; aber doch ein Aufatmen, ein Gliederstrecken. Ich hielt mich noch eine Zeitlang wach, weil ich das dumme Gefühl hatte, alle meine Taten seien von Kundschaftern ausgespäht, so daß am Ende der Major gleich nachrücken würde. Doch ist bis jetzt keiner gekommen. Draußen singt der Hahn. Nun will ich schlafen.
    Rückblick auf Freitag, 4. Mai 1945, notiert Samstag, 5. Mai
    Gegen elf Uhr morgens erschien der Major, er hatte bereits vernommen, daß Anatol wieder in der Gegend, wollte wissen, ob ich mit ihm... Ich sagte, nein, er habe bloß hier mit seinen Leuten gefeiert und getrunken, mußte zeitig wieder ins Zentrum zurück. Er schluckte es. Mir war mies zumute. Am Ende werden sie doch noch zusammenknallen. Was soll ich tun? Ich bin bloß Beute, muß es den Jägern überlassen, was sie mit der Beute tun wollen und wem sie verbleibt. Doch hoffe ich sehr, daß Anatol nicht wiederkehrt.
    Diesmal brachte der Major allerlei Süßigkeiten mit, deutschen Luftwaffenproviant, Kraftfutter. Wir aßen zum Nachtisch davon, unter uns, denn der Major empfahl sich bald wieder. Er wußte nicht, ob er lachen oder sich ärgern sollte, als ich ihm vom Strumpf-Angebot seines Usbeken erzählte. Entschied sich schließlich fürs Lachen. Er versprach, gegen Abend wiederzukommen, in scharfem Ton, mit scharfem Blick. Nun weiß ich doch nicht, ob ich ihn lenken kann, muß mich in acht nehmen, darf nie vergessen, daß sie die Herren sind.
    Zum Verdruß der Witwe futtern Herr Pauli und ich wie die Scheunendrescher. Wir streichen uns die Butter fingerdick, aasen mit dem Zucker, wollen fettgebratene Kartoffeln. Die Witwe aber zählt uns diese Kartoffeln in den Mund. Sie hat nicht ganz unrecht. Unser kleiner Vorrat schwindet dahin. Wohl steht noch ein Korb voll Kartoffeln im Hauskeller; doch wir können nicht heran. Die Hausbewohnerschaft hat in den stillen Stunden morgens zwischen fünf und sieben den Zugang zum Hauskeller verrammelt: mit einem Berg von Trümmersteinen, mit einer Barrikade aus Stühlen, Sprungfedermatratzen, Schränken und Balken. Alles ist mit Drähten und Stricken zusammengezurrt. Das zu entwirren dürfte Stunden dauern. Kein Plünderer hat die Geduld dazu, und das ist der Sinn der Sache. Erst »nachher« soll alles wieder von uns abgebaut werden – wobei natürlich kein Mensch weiß, wann dies »nachher« sein wird.
    Verrückter Tag! Über Nachmittag tauchte plötzlich doch wieder Anatol auf, diesmal auf dem Soziussitz eines Motorrades. Er zeigte mir die unten wartende Maschine mit dem Fahrer. Also kann er nur kurz bleiben, wie tröstlich. Und diesmal, so behauptet er, sei es wirklich sein letzter Besuch – er werde mit dem Stab aus Berlin hinausverlegt. Wohin? Er sagt es nicht. In eine deutsche Stadt? Er zuckt die Achseln und grient. Mir ist es egal, ich hätte nur gern gewußt, ob er wirklich weit wegkommt. Die Witwe begrüßte ihn freundlich, doch gemäßigt. Sie sieht die Dinge vom Küchenschrank her und zieht den Major vor, der auf den Schrankborden einen ganz anderen Niederschlag hinterläßt.
    Ich sitze neben Anatol auf der Bettkante und lasse ihn von »seinem« Motorrad erzählen, auf das er sehr stolz ist, als plötzlich die Tür aufgeht, an die doch bereits der übliche Sessel gerückt ist. Gestört und belästigt blickt Anatol auf. Es ist die Witwe, ganz rot im Gesicht, mit verwirrtem Haar. Hinter ihr drängt sich ein Russe herein, ich kenne ihn, entsinne mich: Es ist der hübsche Pole aus Lemberg,

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