Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
Vom Netzwerk:
belehren. Die Sowjetmänner wissen nichts von kleinen Frauchen fürs traute Heim. Bildung steht dort so hoch im Kurs, ist ein so rares, so gesuchtes, dringend benötigtes Gut, daß man sie von Staats wegen mit strahlendem Nimbus umgibt. Hinzu kommt, daß Wissen sich dort bezahlt macht, was auch der Major sagen will, als er mir nun darlegt, daß ich in seiner Heimat bestimmt »qualifizierte Arbeit« finden würde. Schönen Dank, du meinst es gut, aber damit bin ich ein für allemal bedient. Bei euch gibt es zu viel Abendkurse. Ich mag keine Abendkurse mehr. Ich mag Abende für mich.
    Er sang wieder, leise, melodisch, ich höre es gern. Er ist redlich, reinlichen Wesens, aufgeschlossen. Aber fern und fremd und so unausgebacken. Wie sind wir Westler alt und überklug – und sind jetzt doch Schmutz unter ihren Stiefeln.
    Ich weiß von der Nacht nur, daß ich tief und fest geschlafen und sogar freundlich geträumt habe; und daß ich am Morgen mit unendlichen Umschreibungen, wie »Kino im Kopf«, »Bilder vor geschlossenen Augen«, »nicht richtige Sachen im Schlaf« das russische Wort für »Traum« aus dem Major herausfragte. Auch so eine Vokabel, die im Soldatenwörterbuch fehlt.
    Als der Major gegen sechs Uhr früh zur Kammer ging, um den Usbeken herauszuklopfen, blieb drinnen alles still. Er holte mich heran, ängstlich und aufgeregt, in der Meinung, daß dem Asiaten etwas zugestoßen sein müsse – vielleicht eine Ohnmacht oder gar Überfall und Mord? Gemeinsam rüttelten wir an der Klinke, pochten gegen das Holz der Tür. Nichts, kein Laut: doch sah man, daß innen der Schlüssel steckte. So fest schläft kein Mensch, nicht mal ein Asiat. Ich jagte nach vorn, schüttelte die Witwe wach, flüsterte ihr unsere Besorgnisse ins Ohr.
    »Ach was«, gähnte die Witwe. »Der will bloß allein hierbleiben und nachher sein Glück bei dir versuchen.«
    Wohl zitiert Herr Pauli des öfteren die »weibliche Verschlagenheit« der Witwe. In diesem Falle aber glaube ich ihr nicht und lache sie aus.
    Schließlich entschwindet der Major, nachdem er mehrfach auf seine Armbanduhr geschaut hat. (Eine russische Uhr, er hat es mir gleich zu Beginn unserer Bekanntschaft anhand des Herstellungszeichens bewiesen.)
    Kaum ist er weg – wer erscheint im Korridor, ausgeschlafen und straßenfein? Der Herr Usbeke!
    Er tappt auf mich zu, sieht mich mit seinen verquollenen, nun eigentümlich trüben Äuglein an, zieht aus der Manteltasche ein Paar Seidenstrümpfe, noch in der Papierschlaufe, und sagt, indem er mir die Dinger hinhält, auf gebrochen Russisch: »Willst du? Ich geb sie dir. Verstehst du mich?«
    Klar verstehe ich, mein dicker Liebling! Weit reiße ich die Vordertür auf und zeige ihm, wo der Weg langgeht. »Ab dafür«, sage ich auf deutsch. Er versteht und zottelt von dannen, sieht mich nochmals mit vorwurfsvollen Quetschaugen an und stopft die Strümpfe wieder in seine Tasche.
    Eins zu null für die »weibliche Verschlagenheit«!
    Nachts, von Donnerstag, 3. Mai, zu Freitag, 4. Mai
    Es ist kurz nach drei Uhr und noch dunkel, ich schreibe im Bett, bei Kerzenlicht und allein. Diesen Lichtluxus kann ich mir erlauben, da uns der Major reichlich mit Kerzen versorgt hat.
    Den Donnerstag über gab es wieder Trubel in unserer Wohnung. Unerwartet kreuzten drei Mannen von Anatol auf, sie saßen um den Tisch herum, schwatzten, rauchten, spuckten in die Gegend, zermurksten das heisere Grammophon, das immer noch bei uns herumsteht, und ließen unersättlich die Reklameplatte der Kleiderfirma krächzen. Auf meine Frage nach Anatol – eine ängstlich gestellte Frage! – zuckten sie die Achseln, ließen jedoch seine Rückkehr als möglich durchblicken. Übrigens tauchte auch der Truppen-Bäcker in seinem weißen Kittel wieder auf und wiederholte seine stereotype Frage, ob ich, im Austausch gegen viel Mehl, nicht ein Mädel für ihn wüßte.
    Nein, ich weiß kein Mädel für den Bäcker. Die Sauf- und Jubelschwestern sind in festen Offiziershänden. Das achtzehnjährige Bürgerstöchterlein Stinchen ist auf dem Hängeboden gut versteckt. Von den beiden Portierstöchtern hab ich die letzten Tage nichts mehr gesehen und gehört, nehme an, sie krochen anderswo unter. Von den beiden Verkäuferinnen unten im Bäckerladen ist die eine auf und davon, soll sich in einem fremden Keller verkrochen haben. Die andere wird, wie die Witwe vernahm, in der Kammer versteckt gehalten. Man hat einen großen Schrank vor die Verbindungstür gerückt und das Fenster

Weitere Kostenlose Bücher