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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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von sieben Jahren. »Ich hab sie schon die ganzen Tage bei meinem Jungen gehabt«, erklärte die Frau. »Ich will sie auch gern behalten. Meinem Mann wird es schon recht sein, wenn er wiederkommt. Der hat sich immer noch ein Mädel gewünscht.« Die Eltern hat man in Wolldecken gewickelt und hastig im Hof des Hauses begraben. Die Pistole wurde mit verbuddelt. »Gut, daß kein Russe im Haus war«, meint die Frau. Bestimmt hätte es wegen verbotenen Waffenbesitzes Zunder gegeben.
    Eine Weile standen wir vor den Gräbern auf dem Rasenrondell. Die Hamburgerin meinte, alles habe so kommen müssen, wie es gekommen sei – wäre Hitler am 20. Juli 1944 schon abserviert worden, so wäre ihm bestimmt ein Rest von seinem Nimbus verblieben. Viele hätten weiter an den Toten geglaubt. Ob er wirklich jetzt tot ist? Oder ausgeflogen? Oder im U-Boot entwischt? Es gehen Gerüchte aller Art, doch niemand hört groß hin.
    Am Abend kam die Grindige zu uns und brachte uns eine traurige Geschichte: Heute ist sie zum Lützowplatz marschiert, um ihren Chef aufzusuchen, einen Rechtsanwalt, für den sie seit Jahren die Schriftsätze schrieb. Dieser Anwalt hatte, da jüdisch verheiratet und nicht gewillt, sich scheiden zu lassen, im Dritten Reich viel auszustehen gehabt, besonders in den letzten Jahren, wo er kaum noch sein Brot fand. Seit Monaten hatte sich das Ehepaar auf die Befreiung Berlins gefreut, hatte nächtelang am Radio gehockt und die fremden Sender abgehört. Als dann die ersten Russen in den Keller drangen und Frauen wollten, gab es Gerangel und Schießerei. Ein Querschläger prallte von der Mauer ab und traf den Anwalt in die Hüfte. Seine Frau warf sich den Russen entgegen, flehte auf deutsch um Hilfe. Worauf man sie hinaus auf den Gang schleppte, drei Kerle über ihr, während sie immerfort heulte und schrie: »Ich bin Jüdin, ich bin doch Jüdin.« Inzwischen verblutete der Mann. Man hat ihn im Vorgarten begraben. Die Frau ist seitdem auf und davon, keiner weiß, wohin. Mich überläuft es kalt, da ich dies hinschreibe. Dergleichen kann nicht erdacht, nicht erfunden werden, es ist äußerste Grausamkeit des Lebens, blindwütiger Zufall. Die Grindige weinte, ihre Tränen verfingen sich in den Krusten. Sie sagte: »Wär' es nur schon vorbei, das arme bißchen Leben.
    Samstag, 19. Mai 1945
    Wir existieren ohne Zeitung und ohne rechte Zeit, richten uns wie die Blumen nach der Sonne. Nach Wasserholen und Holzsammeln ging ich einkaufen. Ich bekam als erstes auf die neuen Karten Grütze, Schweinefleisch und Zucker. Die Grütze ist voller Spelzen, der Zucker klumpig, da naß geworden; und das Fleisch starrt von Salz. Trotzdem Nahrung. Wir sind froh damit. »Bin gespannt, ob morgen dein Nikolai kommt«, meinte die Witwe, als ich die Tütchen und Päckchen auf den Tisch des Hauses legte.
    Am Nachmittag feierten wir Hausputz. Auftakt war ein Ruf der Witwe: »Nun sieh dir das an!« Wahrhaftig, aus dem Hahn tropfte es, richtige dicke Wassertropfen aus unserer so lange trockenen Leitung. Wir drehten auf, so weit wir konnten; ein starker Strahl schoß heraus, erst braun, doch bald hell und klar. Vorbei die Wassernöte, die endlose Eimerschlepperei! Wenigstens für uns im ersten Stock; denn später hörten wir, daß der Wassersegen im dritten Stock endet. Doch holen sich die Höherwohnenden ihr Wasser jetzt unten in unserem Hof – oder bei Bekannten eine Treppe tiefer. Wozu noch zu sagen ist, daß die berühmte Volks- und Haus- und Luftschutzgemeinschaft langsam zerbröckelt. Auf gut großstädtische Manier schließt sich wieder jeder in seine vier Wände ein und wählt seinen Umgang mit Vorsicht.
    Wir stellten die Wohnung auf den Kopf und veranstalteten einen tollen Hausputz. Ich konnte mich gar nicht satt sehen an dem Wasser, fummelte immer wieder am Hahn herum. Zwar versiegte der Sprudel gegen Abend; doch da hatten wir schon die Badewanne bis zum Rand gefüllt.
    Sonderbares Gefühl, jetzt eins nach dem anderen die »Wunder der Technik«, die Errungenschaften der Neuzeit wieder beschert zu bekommen. Jetzt freue ich mich schon auf den elektrischen Strom.
    Zwischendurch, als alles bei uns schwamm, fand sich die Blonde, Eingewiesene ein, deren Geliebten die Russen vorgestern als hohes Parteitier abgeholt haben. Ich mußte mir eine Magazin-Story von Liebe und Treue anhören: »So etwas wie unsere Liebe, hat er zu mir gesagt, das hat er noch nie erlebt. Das muß die ganz große Liebe sein, hat er gesagt.« Vielleicht redet die ganz große

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