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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Liebe wirklich so. Mir jedenfalls waren diese Sätze greulich, wie allerbilligster Kintopp und Groschenroman. Sie barmte herum, während ich den Flur schrubbte: »Wo mag er jetzt bloß sein? Was mögen die mit ihm machen?« Ich weiß es auch nicht. Sie verweilte übrigens nicht lange dabei, kam rasch auf sich selbst zu sprechen: »Ob sie mich wohl auch noch holen? Ob ich besser von hier abhauen soll? Aber wohin?«
    »Unsinn! Es war doch nirgends angeschlagen, daß Parteigenossen sich melden müßten.« Und ich fragte: »Wer hat es denn ausgeschwatzt?«
    Sie zuckte die Achseln: »Ich nehme an, seine Frau. Die war mit den Kindern nach Schwiebus evakuiert, ist sicher mittlerweile nach Berlin in das Haus zurückgekehrt, das sie in Treptow haben. Da wird sie wohl von irgendwelchen Nachbarn gehört haben, daß er öfters mit mir draußen gewesen ist, Sachen holen.«
    »Kannten Sie denn die Frau?«
    »Ein bißchen. Ich war doch früher mal seine Sekretärin.«
    Das übliche »Ausweichlager« also, wie der Berliner Witz die Bettzuflucht der Ehemänner nannte, die auf höheren Befehl – und oft nicht ungern – Weib und Kind evakuieren mußten. Auch über die evakuierten, gattenlosen »Mu-Ki's«, die Mutter-und-Kind-Verschickten, wurden allerlei Histörchen über Fensterln und flotten Lebenswandel erzählt. Man verpflanzt den Durchschnittsmenschen in seiner moralischen Schwäche nicht ungestraft. Die gewohnte Umwelt von Sippe, Nachbarschaft, polierten Möbeln und stundenfüllender Tätigkeit ist ein starkes Moralkorsett. Es kommt mir ganz wahrscheinlich vor, daß die erzürnte Ehefrau ihren Mann preisgegeben hat – vielleicht, weil sie annahm, daß die Gefährtin seines Ausweichlagers mit bestraft würde.
    »Ach, er war so entzückend«, versicherte sie mir, als ich sie endlich zur Tür hingelotst hatte. Und sie tupfte sich eine Träne weg.
    (Juli 45 an den Rand gekritzelt: War die erste Frau im Haus, die einen Ami hatte: Koch, Bauch, Specknacken, schleppt Pakete an.)
    Pfingstsonntag, 20.Mai 1945
    Strahlender Tag. Von frühmorgens an widerhallte unsere Straße von den Tritten ungezählter Marschierer, die unterwegs sind zu Freunden und Verwandten in anderen Stadtteilen. Wir frühstückten bis elf mit Kuchen und bohnengemixtem Kaffee. Die Witwe gab allerlei Familien-Anekdoten zum besten. Das ist ihre Stärke. Ihre Sippe ist aber auch wirklich komisch, da völlig unübersichtlich: Der Schwiegerpapa war dreimal verheiratet, in großen Abständen; hat zwei seiner Frauen überlebt. Aus allen Ehen laufen nun Kinder und Kindeskinder herum; Tanten, die jünger sind als ihre Nichten; Onkel, die mit ihren Neffen in die gleiche Schulklasse gehen. Obendrein, so gesteht die Witwe, hat sich die letzte, überlebende Gattin anschließend in zweiter Ehe mit einem Juden vermählt. Dieser jüdische Stief-Schwiegervater starb zwar bereits lange vor Beginn des Dritten Reiches; doch blieb er ein Fleck in der Familiengeschichte. Heute hingegen erzählt die Witwe geradezu mit Behagen von ihm und rühmt sich seiner.
    Nach dem Mittagessen verzog ich mich hinauf in die Dachwohnung, wühlte mich durch Berge von Kalk und Schutt, schleppte Dreckeimer treppab, wischte die Böden. In die morschen Balkonkästen pflanzte ich Kerbel und Borretsch; das heißt, ich streute in flache Rillen die braunen Körner und schwarzen Würmchen, aus denen mein Küchengarten wachsen soll. Wie die Kräuter aussehen werden, weiß ich nur von den Vorderseiten der Samentüten, die mir die Hamburgerin aus altem Restbestand geschenkt hat. Nachher lag ich am Boden der Terrasse in der Sonne. Tiefzufriedene Stunde. Doch hinterdrein Unruhe. Es mahnt und bohrt in mir. Ich kann nicht so pflanzenhaft weiterleben, muß mich rühren, muß etwas anfassen. Mir ist, als ob ich ein gutes Spiel Karten in Händen hätte. Ob ich es ausspielen kann? Mit wem? Das Schlimmste zur Zeit ist unser Abgeschnittensein.
    Als ich in den ersten Stock zur Witwe zurückkehrte, platzte ich in großen Jubel. Unversehens und ohne zu suchen, ist die Witwe auf die verkramte Krawattenperle ihres Seligen gestoßen; sie hatte das gute Stück in der Zehenspitze einer vielgestopften Socke versteckt. »Wie man sowas bloß vergessen kann!« wundert sie sich nachträglich.
    Friedlich ging der Pfingstsonntag vorüber. Ab acht Uhr abends wartete ich auf den Oberleutnant – auf Nikolai, der mich Mittwoch gefragt hat, ob er heute kommen dürfe. Er kam nicht, wird wohl auch nicht mehr kommen. Herr Pauli konnte sich eine

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