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Eine Frau sein ist kein Sport

Eine Frau sein ist kein Sport

Titel: Eine Frau sein ist kein Sport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Noestlinger
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stets vom Positiven zum Negativen statt, und immer ist ein böser Mensch daran schuld, dem das Kind »total verfiel«.
    Da ist die Mutter, die eine einsichtige, liebenswert-liebenswürdige Tochter hatte, bis dieser Kerl kam. Kaum währte die Beziehung drei Wochen, war die Tochter »wie ausgewechselt«, hörte nur mehr auf den Kerl, war keinem Argument zugängig und warf der Mutter Worte an den Kopf, die ihr früher nie über die Lippen gekommen wären. Und da ist die Mutter, die einen Prachtsohn hatte, bis er diese Frau traf, »wie ausgewechselt« war, auszog und den Kontakt zur Mutter abbrach.
    Hört man solche Geschichten, denkt man: Sollte das so sein, müssten diese Kinder diabolischen Verführern auf den Leim gegangen sein. Aber derartige Typen sind rar, die gibt es seltener als solche Geschichten. So hurtig ändert sich niemand; selbst wenn es da jemanden gibt, der das Kind gegen die Mutter »aufhetzt«. War das Verhältnis zwischen Mutter und Kind gut, mag es sich durch Konflikt trüben, aber sich nicht von einer Seite in Abneigung oder gar Hass verwandeln.
    »Wie ausgewechselt« erscheinen Menschen nur, wenn man sie durch die rosarote Brille sah und dann gezwungen ist, die Brille abzunehmen. Man hatte Illusionen, die müsste man aufgeben. Weil Mütter sich aber vom idealen Bild, das sie von ihrem Kind haben, schwer trennen, suchen sie jemanden, auf den die Schuld zu schieben ist. Ist ja unmöglich, dass man sein Kind falsch gesehen hat! Nein, nein, die böse Frau, der böse Mann haben es »ausgewechselt«! Und falls Sohn oder Tochter der Mutter dann im Streit vorhält: »Du liebst mich nicht mag daran ein Hauch Wahrheit sein. Denn geliebt wurde da nicht ein Kind, wie es ist, samt allen negativen Eigenschaften, sondern das »edle Bild«, das man von ihm gemalt hat.
    Da hilft nur: Tief Luft holen, sich das Bild vornehmen und alle verschönernden Retuschen, die man im Laufe der Jahre angebracht hat, tilgen. Das Bild, das man dann erhält, mag weniger schön sein, aber nach dem ersten Schreck auch liebenswert. Die meisten Kinder werden es der Mutter danken, und der Versöhnung ist der Weg bereitet.
    Zu hoffen, dass das Kind ein Einsehen habe und sich wieder ins »edle Bild« füge, das man gern von ihm hätte, bringt jedenfalls gar nichts.
Achtung, Miterzieher!
    Es gibt eine Menschensorte, vor der ich – solange ich noch kleine Töchter hatte – panikartig flüchtete. Ich meine die »Miterzieher«. Da ich mit keinem Vertreter der Sorte näheren Kontakt hatte, weiß ich nicht, ob das kinderlose Leute sind, die irgendwo ihren Bedarf an Erziehung austoben, oder es sich da um Eltern handelt, die eigene Kinder so perfekt erzogen haben, dass sie meinen, hilflosen Mamas und Papas mit ihrem Erziehungstalent beistehen zu müssen. Wahrscheinlich sind beide Varianten möglich und, wie ich feststelle, noch immer nicht ausgestorben.
    Da ist die Dame, die bei der Sandkiste steht und ein fremdes Kind rügt: »Pfui-pfui, net geizig sein! Gib dem Mädi brav dein Schauferl!«
    Da ist der Herr, der mit dem Zeigefinger vor den nassen Augen eines kleinen Buben wackelt und mahnt: »Aber, aber, ein Bub weint nicht!«
    Gibt auch das Ehepaar, das einem Knirps tadelnd auf den prallen Popo tapscht und ruft: »Bist sicher bald drei Jahr’ und hast noch eine Windel? Schäm di!«
    Andere Miterzieher wenden sich nicht an das Kind, sondern an die Begleitperson. Meistens, wenn das Kind seinen eigenen Willen durchsetzen will, was – wie man weiß – mit Gebrüll verbunden ist. Da wird üblicherweise angeraten, dem Kind doch endlich eine Watsche zu geben.
    Aber Miterzieher reden nicht nur, sie handeln auch. Da sitzt etwa ein Kind friedlich neben der Mama in der Straßenbahn, schleckt an einem Lolli. Dem Kind gegenüber sitzt eine Frau, lächelt dem Kind zu, grapscht nach dem Lolli, entwindet der Kinderfaust das Lolli-Stangerl und ruft schelmisch: »Mir g’hört’s!«
    Das war dann eine Lektion in »Teilen lernen«, und wenn das Kind zu plärren anfängt, kriegt es seinen Lolli eh zurück! Unlängst sah ich eben beschriebenen Vorfall wieder einmal. Bloß reagierte das Kind nicht mit Gebrüll, es saß bloß still da und schaute die Frau an.
    »Du bist aber brav«, sagte die mit Honigstimme. »Schenkst mir den Lolli?«
    Das Kind nickte.
    »Nein, nein, kannst ihn eh wieder haben«, sagte die Frau und hielt dem Kind den Lolli hin. Das Kind schüttelte den Kopf und verbarg die Hände hinter dem Rücken. Die Frau wollte der Kindsmutter den Lolli

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