Eine Frau sein ist kein Sport
hat Menschenkenntnis!
Klebelächeln gefragt
Manchmal, sei es in der U-Bahn, sei es im Supermarkt oder an einer Straßenecke, trifft man auf jemanden, den man nur flüchtig kennt, sagt »Guten Tag«, fügt noch höflich den Allerweltssatz »Na, wie geht’s denn so?« hinzu und möchte hierauf schnell wieder seines Weges gehen, aber der angesprochene Mensch nimmt die Wie-geht’s-denn-Frage ernst und beginnt ausführlich zu erklären, wie es ihm geht.
Schlecht geht es ihm! Die Partnerschaft »haut« nicht hin, die Kinder »funktionieren« nicht, die Kreditraten sind viel zu hoch, seit es im Betrieb keine Überstunden mehr zu machen gibt, die alte Mutter wird immer verkalkter, der Erbonkel hat – gemeinerweise! – drei Tage vor seinem Tod das Testament geändert, und die Migräne kommt jetzt schon zweimal wöchentlich.
Herr im Himmel, denkt man dann, was habe ich Hornochse bloß auch nachfragen müssen! Man tritt von einem Bein auf das andere, versucht hilflos den Non-Stop-Rede-schwall zu unterbrechen, murmelt allerhand von »... leider sehr in Eile« und auch etliche Male »... ach wie schrecklich für Sie«, und wenn die redselige Person ihr ganzes Unglück endlich ausposaunt hat, enteilt man kopfschüttelnd.
Ist ja unglaublich, sagt man sich. Wie komme ich denn dazu, mir das alles anzuhören? Ich kenne den Menschen ja kaum! So was von aufdringlich gehört doch direkt verboten! Ich habe ja schließlich meine Zeit auch nicht gestohlen!
In Wirklichkeit aber geht es da gar nicht um die paar Minuten oder auch die Viertelstunde, die einem der Mensch, dessen Herz so voll war, dass ihm der Mund überging, geraubt hat.
Hätte er, sei es in der U-Bahn, sei es im Supermarkt oder an einer Straßenecke, genauso lange und ausführlich geschildert, wie glücklich er mit seinem Partner ist und wie gut und lieb die Kinderchen sind und dass der Kredit abgezahlt ist und die alte Mutter wohlauf und die Migräne seit einem Jahr wie weggeblasen ist und die Erbschaft nach dem Onkel eine recht ansehnliche gewesen ist, hätte man ihm freundlich gelauscht, wäre nicht von einem Bein auf das andere getreten und hätte ihm auch nicht, enteilend, vergrämte Gedanken nachgeschickt.
Unsere Mitmenschen dürfen redselig sein, aber sie dürfen uns nicht mit ihren Sorgen, Nöten und Kümmernissen belästigen. Das gehört sich nicht! Das ist schrecklich!
Ist es eigentlich wirklich so schrecklich? Ist es eigentlich nicht viel schrecklicher, wenn man, den Konventionen gut angepasst, auf jedes »Na, wie geht’s denn so?« artig lächelnd »Danke, gut« sagt, obwohl es einem überhaupt nicht gut, sondern ziemlich mies geht?
Warum dürfen bloß unsere besten Freunde und engsten Angehörigen erfahren, dass wir im Moment mit unserem Leben nicht zurechtkommen?
Glück darf ausposaunt werden, Unglück hat verschwiegen zu werden! Fürs »Keep-smiling« in harten Lebenslagen hat man sich ein 1-A-Klebelächeln zuzulegen. So ist das nun einmal! Aber so sein sollte es eigentlich nicht.
Ja warum nur?
»Ja, warum hast du dir denn das auch angetan?« ist eine Frage von kopfschüttelnden Menschen, die ich im Laufe meines Lebens mit schöner Regelmäßigkeit zu hören bekommen habe.
Sie haben ja auch Recht, diese Kopfschüttler! Warum »tue« ich es mir denn wirklich »an«, einen Pullover im kompliziertesten aller Norwegermuster und zwölf verschiedenen Farben zu stricken, wenn ich dann in die zwölf heillos verhedderten Wollknäuel hineinfluche, weil ich mit der Mustervorlage nicht zurechtkomme?
Und warum habe ich mir den hellsten aller silbergrauen Teppichböden angetan, wenn ich doch absolut nicht zu den Menschen gehöre, die Besucher im Vorzimmer dazu zwingen, die Schuhe auszuziehen?
Und warum habe ich mir zwei Katzen angetan, wenn ich es nicht mag, dass marode Mäuse quietschend durch das Haus laufen? Und wenn es so mühselig ist, immer jemand Gutwilligen zu finden, der die Katzen füttert, wenn ich verreisen muss?
Kinder habe ich mir übrigens auch angetan! Und einen stressigen Beruf. Und ... und ... und ... Was hätte ich für ein sorgenfreies Leben, wenn ich mir das alles nicht angetan hätte. Keinen Ehestreit, keine Sorgen mit den Kindern, keinen Tierarztbesuch. Nicht einmal schwarze Trittspuren im Silbergrauen hätte ich! Aber was hätte ich dann eigentlich?
Dann hätte ich auch keine Freude am schönen, selbst gestrickten und arg bewunderten Pullover, keinen Spaß mit meinen Katzen, keine Geborgenheit in einer Familie, kein Erfolgserlebnis
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