Eine Freundschaft im Winter
erst daran zu essen. Sie waren heute zu einigen Küchenbränden gerufen worden, bei denen die Leute meistens ihre Truthähne in große Behälter mit heißem Öl gelegt hatten, das sich dann entzündet hatte. Das Murmeln verstummte, als Howard und Cassie eintraten. Cassie spürte anklagende Blicke auf sich, als würden sich alle nur gedulden, bis ihr Vater mit ihr fertig war, um sie dann selbst auszuschimpfen.
Sie sah die müden blauen Augen ihres Dads. Er erhob sich und schüttelte Howard die Hand. »Danke, setz dich zu uns.« Er blickte seine Tochter nicht an und sagte nur: »Komm, Cassie.« Daraufhin gingen sie nach draußen.
Mike lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer und schaute in den Himmel hinauf.
»Es tut mir leid, Dad«, sagte Cassie.
Er holte tief Luft. »Ich habe die ganze Zeit gedacht: Was mache ich, wenn ich dich auch noch verliere?«
»Dad, es tut mir leid«, wiederholte sie.
»Nancy war vollkommen aufgelöst«, fügte er hinzu.
Cassie schwieg.
»Sie hat gekündigt«, sagte er.
Cassie freute sich darüber, aber sie wusste, dass sie sich das im Augenblick besser nicht anmerken ließ.
»Ich bin echt wütend, Cassie.«
Sie betrachtete das Streusalz auf dem Boden und wand sich unter dem Blick ihres Vaters. »Wenn ich auf dem Berg bin, fühle ich mich manchmal so, als wäre Mom bei mir«, sagte sie leise.
Mike strich sich mit beiden Händen über die Stirn. »Du hast mich ganz schön in Schwierigkeiten gebracht. Ich kann damit nicht umgehen. Ich muss wissen, dass es dir gut geht und dass du in Sicherheit bist. Und ich brauche jemanden, der auf dich aufpasst und mir genau das garantiert. Du bist erst zehn Jahre alt. Wenn diese Geschichte im Ort die Runde macht, wird niemand mehr auf dich aufpassen wollen. Das Risiko ist ihnen zu groß. Wenn wir das Problem nicht in den Griff bekommen, muss ich dich nach Phoenix schicken, um bei Grandma und Grandpa zu leben.«
Cassie riss ungläubig die Augen auf.
»Ich muss mich darauf verlassen können, dass jemand die Aufsicht über dich hat«, sagte er unnachgiebig.
Ihre Herzen waren schwer, als sie zurück in die Wache gingen. Beide fragten sich, was sie ohne den anderen tun würden. Schweigend aßen sie, während die anderen um sie herum lachten und sich unterhielten.
»Bleibst du den ganzen Winter hier?«, fragte Eric, als er Jill mit der Pistenraupe zur Thanksgiving-Feier nach oben auf den Berg brachte.
»Ich glaube schon. Allerdings entscheide ich im Augenblick alles von Tag zu Tag.«
»Aber du willst doch nicht ewig auf der Couch schlafen, oder?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht. So weit habe ich noch nicht gedacht.«
»Also, denk mal über folgenden Vorschlag nach: Travis bleibt den Winter über weg. Wenn wir für diese Zeit keinen anderen Mitbewohner finden, müssen wir unseren Verbrauch einschränken, und das kann niemand wollen. Wir hatten zwar noch nie eine Mitbewohnerin, aber ich glaube nicht, dass Tom oder Hans Einwände hätten. Die Miete ist günstig – du solltest es dir überlegen.«
»Lisa hat mir das Versprechen abgenommen, den Zwinger niemals zu betreten«, sagte Jill mit einem Lächeln.
Er lachte. »Wir wissen, dass du in der Klemme steckst, also kannst du deine Miete bezahlen, nachdem du deinen ersten Scheck bekommen hast. Also denk darüber nach.«
»Okay«, stimmte sie zu.
Er ließ sie am Gipfel aussteigen und fuhr weiter, um den Rest der Piste zu präparieren.
Sie ging zu Tom, der gerade Holzscheite fürs Feuer stapelte.
»Lisa und Hans sind schon auf dem Weg. Sie bringen das Essen mit.« Freudig rieb er sich die Hände. »Jetzt dauert es nicht mehr lange!«
»Weißt du, ob das kleine Mädchen wieder aufgetaucht ist?«, fragte Jill.
»Ja. Howard hat sie schlafend im Starthaus gefunden. Erinnerst du dich an Kate?«, fragte Tom.
»Kate?«
»Kate Paulson«, sagte Tom.
»Ja«, erwiderte Jill. »Ich bin früher mit ihr Rennen gefahren. Sie war schnell.«
»Sie ist im Sommer gestorben«, sagte Tom. »An Brustkrebs. Der Krebs hat bis in die Lunge gestreut. Ihre Tochter Cassie hat, seit sie fünf ist, sämtliche Rekorde im Abfahrtsrennen gebrochen. Wir haben alle auf den Tag gewartet, an dem sie alt genug ist, um internationale Wettbewerbe anzuführen, doch in diesem Jahr ist sie noch gar nicht gelaufen. Ich habe sie sonst immer auf der Piste gesehen, aber seit ihre Mom gestorben ist, kommt sie nicht mehr.«
»Oh …« Jill runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich habe gehört, wie ihr Dad gesagt hat, er würde ein
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