Eine Freundschaft im Winter
Mutter nach dem Seitensprung ihres Vaters verhalten hatte.
Einmal war Lisa von der Schule nach Hause gekommen und direkt in die Küche gegangen, wo Töpfe und Pfannen wie immer auf dem Herd vor sich hin gedampft hatten. Es war so schön gewesen, endlich nach Hause zu kommen, den Duft von Kräutern und Gewürzen zu riechen, von dem leckeren Dampf umhüllt zu sein, zurück in der Wärme, die ihre Mutter verkörperte.
Während ihre Mutter am Kühlschrank war, schnappte sich Lisa einen Holzlöffel und steckte ihn in die Soße, um sie zu probieren.
»Nein, das darfst du nicht!«, rief ihre Mutter und schlug Lisa auf die Hand, sodass der Löffel auf den Boden fiel. »Das ist nur für deinen Vater! Ganz allein für ihn!« Lisa wusste nicht, wie ihre Mutter so schnell quer durch die Küche zum Herd gekommen war.
Einen Moment lang stand sie fassungslos da. Sie hätte niemals für möglich gehalten, für den harmlosen Versuch geschlagen zu werden, ein bisschen Soße zu probieren. Tränen stiegen in ihr auf, und sie fing an zu weinen. Sie wartete ab, ob ihre Mutter sie trösten würde, ob sie erkannte, wie sehr ihr das alles wehgetan hatte.
»Du probierst davon nicht mehr, ragazzina . Auf gar keinen Fall. Und jetzt hör auf zu weinen, und geh nach draußen zum Spielen.« Das war alles, was sie gesagt hatte.
Als sie sich jetzt, nach so vielen Jahren, die Szene wieder ins Gedächtnis rief, war Lisa noch immer wütend. Und betrunken genug, um nach dem Telefonhörer zu greifen. Es war ihr egal, dass es in Florida fast zwei Uhr morgens war. Sie wollte eine Antwort. Nachdem das Telefon siebenmal geklingelt hatte, nahm ihre Mutter endlich ab.
»Ragazzina?« So nannte ihre Mutter sie noch immer – ein italienisches Kosewort. »Ist alles in Ordnung mit dir? Es ist mitten in der Nacht!« Ihre Mutter klang beunruhigt.
»Mama, erinnerst du dich noch daran, als ich klein war und du mir auf die Hand geschlagen hast, weil ich die Tomatensoße probieren wollte? Warum hast du das getan?«
»Lisa, hast du getrunken?«, fragte ihre Mutter.
»Ja, aber darum geht es jetzt nicht. Ich möchte wissen, warum du mich geschlagen hast, weil ich probieren wollte.«
Lisas Mutter lachte leise auf und holte dann Luft. »Ach, ragazzina, es tut mir leid. Doch nachdem dein Vater mich hintergangen hatte, war ich so wütend, dass ich zwei Jahre lang Hundescheiße in sein Essen gemischt habe. Du wolltest seine Soße probieren, und ich wollte nicht, dass du davon isst.«
Lisa ließ sich verdattert auf ihr Bett fallen. Langsam fing sie an zu glucksen, bis sie schließlich in lautes Gelächter ausbrach. Ihre Mutter lachte mit. Sie lachten und lachten, bis ihnen die Tränen kamen.
Schließlich sagte Lisa: »Gut, Mama. Ich glaube, jetzt kann ich schlafen.«
»Ich liebe dich, r agazzina!«
»Ich liebe dich auch, Mama«, sagte Lisa.
Mitten in der Nacht stapelte Cassie ihre beiden Kissen überein ander und breitete den flauschigen weißen Bademantel darüber. Dann holte sie die Schatztruhe mit den Steinen, kletterte zurück ins Bett und kuschelte sich in die Kissen. Wenn sie allein war, machte sie das oft – sie tat so, als würde sie auf dem Schoß ihrer Mom sitzen. Ab und zu dachte sie, dass sie schon zehn und zu alt dafür war; dann tat sie so, als würde sie neben ihrer Mutter sitzen. Aber es gab auch Situationen, in denen das kleine Mädchen in ihr laut weinte, und dann gab es sich dem Bedürfnis hin, auf dem Schoß seiner Mutter zu sitzen. Heute Nacht war es so. Sie machte die Schatztruhe auf und nahm nach und nach die Steine heraus. Und während sie jeden einzelnen bewunderte, wurde ihr bewusst, dass die Geschichten, die es zu jedem der Steine gab, allmählich verblassten.
Sie nahm sich einen Block und fing an, die Geschichten aufzuschreiben, ehe sie sie ganz vergaß. Neben jede Geschichte malte sie den passenden Stein. Es wurden schließlich elf Seiten. Sie konnte es nicht glauben.
Und plötzlich fielen ihr alle möglichen Dinge ein, die sie auch nicht vergessen wollte. Doch es waren zu viele, um sie in einer einzigen Nacht niederzuschreiben. Also machte sie sich eine zweiseitige Liste von all den Geschichten, die sie festhalten wollte. Und schon das Gefühl, diese Liste von Dingen erstellt zu haben, die sie nicht vergessen wollte, war schön, und sie fühlte sich besser.
15. Kapitel
Schneebericht für den 16. Januar
Aktuelle Temperatur: –12,2°C, Höchstwert: –10,6 °C um 14 Uhr, Tiefstwert: –16,7 °C um 5 Uhr.
Klarer Himmel. Kein
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