Eine Freundschaft im Winter
machen einen nicht die Verstorbenen kaputt, sondern das Leid der Hinterbliebenen.« Sie widmete sich wieder dem Waffeleisen.
»Welche Erinnerungen hast du an Kate?«, fragte Mike unvermittelt.
Jill wusste nicht, wie viel sie preisgeben sollte. Sie wusste, dass er nur Gutes hören wollte. »Sie hat mir mal einen Apfel geschenkt, als ich mein Essen vergessen hatte. Das hat mich überrascht, weil ich nie das Gefühl hatte, sie hätte mich besonders gemocht. Die meisten Erinnerungen sind Erinnerungen an Skirennen mit ihr. Sie war furchtlos. Sie war eine – Wucht.«
Er lächelte traurig. »Ja, das war sie.« Er schenkte sich noch etwas Orangensaft nach. »Wart ihr befreundet?«
»Nicht wirklich«, sagte Jill, »aber wir waren auch keine Feinde. Manchmal erkenne ich sie in Cassie wieder. Sie ist auf ihre Art auch eine Wucht …«
Mike zog die Augenbrauen hoch und nickte zustimmend. »Du hättest sie sehen sollen, bevor Kate …«
Jill nickte, und er wechselte das Thema.
»Als wir uns heute Morgen auf dem Bürgersteig vorm Haus getroffen haben, hat sie mir die Einkaufsliste mit den Zutaten fürs Abendessen gegeben, das sie mit dir kochen will. Und dann hat sie gefragt, ob wir in den Eisenwarenladen gehen und PVC -Rohre für euren Dummy besorgen könnten. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin zu sehen, dass sie sich wieder für etwas interessiert. Danke dafür. Du tust ihr gut. Sie mag dich wirklich.« Jill bemerkte die Grübchen in seinen Mundwinkeln, als er lächelte.
»Tja, das beruht auf Gegenseitigkeit«, erwiderte sie.
Die Grübchen verschwanden, als er sagte: »Ich mache mir Sorgen um sie.«
»Sie braucht Zeit. Das haben sie mir zumindest gesagt.« Jill spürte, dass er fertig war. »Wir sehen uns dann übermorgen.« Sie lächelte ihm zu.
Er begleitete sie zur Tür. »Bis dann.«
»Mach’s gut.« Damit ging sie hinaus.
Nachdem Jill fort war, ging Mike hinauf in sein Schlafzimmer. Er legte sich auf seine Seite des Bettes und starrte hinüber auf Kates Seite. An was er sich erinnerte, war das Gefühl, dass sie immer weit, ganz weit von ihm entfernt war.
»Wieso erzählst du mir nie, wie dein Tag war?«, hatte sie einmal gesagt. An ihrer Frage war nichts Mitfühlendes gewesen. Kate hatte ihm nicht das Gefühl vermittelt, sie hätte ihn irgend wie trösten können, selbst wenn sie ihn verstanden hätte, wozu sie jedoch nicht fähig gewesen war. Die Frage hatte fast herausfordernd geklungen. »Ich merke es, wenn du einen schlechten Tag hattest, weißt du das? Du bist so abwesend.«
An dem Tag hatte er ein dreijähriges Kind aus einem Teich gezogen, und das Drama hatte ihn an zu Hause erinnert.
»Ich möchte nicht mit dir darüber reden, denn es hilft mir nicht dabei, es abzuschütteln. Du hast nicht viele tote Kinder gesehen«, hatte er gesagt.
Kate hatte sich auf die andere Seite gerollt, weg von ihm. Er hatte sich zu ihr gedreht und einen Arm um sie gelegt. Doch es hatte nicht geholfen. Keiner hatte die Kluft zwischen ihnen überwinden können.
Als Jill von der Toilette kam, wartete der Sheriff auf sie. »Jill Fritz?«, fragte er und kam im Sanitätsraum auf sie zu.
»Ja?«, antwortete sie beunruhigt.
»Ich habe ein Schreiben des Bundesstaates Texas für Sie«, sagte er und überreichte ihr ein paar Papiere. »Es tut mir leid, dass ich der Überbringer schlechter Neuigkeiten bin.« Damit wandte er sich um und ging.
Sie war sprachlos, als sie den Scheidungsantrag überflog. Da vid hatte die einverständliche Scheidung beantragt. Als Grund hatte er schlicht angegeben, die Ehe sei »unhaltbar«. Das andere Dokument war eine Mitteilung zur Anhörung für eine einstweilige Verfügung in weniger als zwei Wochen. Das bedeutete, dass sie sich schnellstmöglich einen Anwalt suchen, in beiden Jobs Urlaub nehmen und nach Austin reisen musste.
Sie hasste das Wort »Scheidung«. Und jetzt stand sie kurz davor, diesen Stempel aufgedrückt zu bekommen, der für immer an ihr haften würde. Für den Rest ihres Lebens würde sie in Formularen das Kästchen »geschieden« ankreuzen. Es würde Teil ihrer Persönlichkeit werden. Geschieden .
Als Jill nach Feierabend in den Zwinger ging, saß Lisa mit den Jungs vor dem Fernseher.
»Lisa, du hier?«, fragte Jill ungläubig.
»Wir gucken uns Der Bachelor an«, entgegnete Tom, schenkte Jill ein Glas Wein ein und reichte es ihr. »Wir nehmen jedes Mal einen großzügigen Schluck, wenn jemand ›unglaublich‹, ›unfassbar‹ oder ›Oh, mein Gott!‹ sagt,
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