Eine für alle
angefahren. Nur etwas heftiger als üblich.
Ich wickelte das Eis in ein Küchentuch und legte es sanft auf die lila Beule. »Hast du es der Polizei gemeldet?«
»Die Polizei ist von sich aus gekommen. Sie wollten mich unbedingt ins Krankenhaus bringen, aber ich wusste, dass ich mich bei unserer Verabredung verspätet hatte, und ich musste dich unbedingt sehen, Victoria.«
Ich drückte sacht ihre Hand. Lotty lag ein paar Augenblicke schweigend da. »Ich glaube, sie waren hinter dir her, weißt du.« »Die Polizei ist hinter mir her?«, fragte ich vorsichtig. »Nein, Vic. Die Leute, die mich überfallen haben.«
Der Boden bebte unter meinen Füßen. »Lotty, liebste Lotty, ich weiß, dass du Schmerzen hast und vielleicht außerdem eine Gehirnerschütterung, aber kannst du mir bitte sagen, was passiert ist? Ich habe gedacht, es war ein Autounfall. Der Trans Am ist eingedellt.« Sie nickte, dann zuckte sie zusammen. Dabei fiel das Handtuch mit dem Eis auf das Kissen. Während ich die Eiswürfel aufsammelte, ordnete sie ihre Gedanken und erzählte mir die Geschichte. Sie war aus der Praxis nach Hause gekommen, um zu duschen und sich umzuziehen. Als sie wegfuhr, kurz bevor sie von der Sheffield Avenue in die Addison Street einbiegen wollte, war ein Auto aus dem Nichts aufgetaucht - wie das bei ihr immer war - und hatte den Trans Am frontal gerammt.
Sie runzelte die Stirn. »Ich muss mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geprallt sein, aber ich glaube nicht, dass sie dabei einen Sprung bekommen hat - ich glaube, das haben sie später gemacht. Jedenfalls war ich zuerst einmal wütend. Ich kann diese rücksichtslosen Fahrer nicht ausstehen. So etwas hat es in London nie gegeben, und im Vergleich zum Londoner Verkehr ist Chicago ein Kuhnest. Also bin ich ausgestiegen, um ihnen zu sagen, was ich von ihnen halte, und mir ihre Versicherung nennen zu lassen. Und da sind auch sie ausgestiegen und haben auf mich eingeprügelt. Ich war so fassungslos, dass ich nicht reagieren konnte. Außerdem bin ich nicht wie du, ich habe nicht mit Muhammad Ali trainiert.
Ich habe um Hilfe geschrien, aber niemand war auf der Straße. Vorbeikommende Autofahrer nahmen keine Notiz von mir. Die Männer schlugen auf mich ein und schrien, ich müsse nun im Bösen lernen, mich um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern, als ein Streifenwagen kam. Sobald die Gangster die Polizisten sahen, liefen sie weg. Ein Polizist stieg aus und setzte ihnen nach, aber natürlich hatten sie einen Vorsprung. Ihr Auto ließen sie einfach stehen. Auf der Heimfahrt habe ich dann gedacht, dass sie mich vielleicht mit dir verwechselt haben. Weil ich dein Auto fuhr.« Sie hatte recht. Ich hatte das sofort gewusst. Ich wollte noch nach der Anzahl und dem Aussehen der Männer fragen, aber sie war nicht in der Verfassung, verhört zu werden. Und es erklärte, warum sie sich so merkwürdig verhalten hatte: Das war nicht der Schock, sondern die Wut auf mich, weil ich sie in Gefahr gebracht hatte. »Es tut mir leid«, sagte ich. Mir fiel nichts Besseres ein.
Sie behielt die Augen zu, aber ihr Mund verzog sich zu einem ironischen Lächeln. »Mir auch. Zweifellos mehr als dir.«
»Bist du deshalb ins Restaurant gekommen? Um mir ein Messer in die Seite zu stechen?« Daraufhin machte sie die Augen auf und schaute mich unter der Eispackung an. »Nein, Victoria. Ich bin zu dir gekommen, weil ich noch nie im Leben solche Angst gehabt habe, jedenfalls noch nie, seit ich nach Amerika gekommen bin. Und es schien dich zu betreffen. Etwas, das du vielleicht in Ordnung bringen, für mich aus der Welt schaffen kannst.«
Ich ging in die Knie und nahm Lotty in die Arme. »Ich tu mein Bestes, Chefin.« Sie machte die Augen wieder zu und lag leicht atmend da, hielt meine Hand, während wir auf Max und Art warteten. Ich zitterte innerlich, stellte mir vor, wie sie attackiert worden war, und wünschte mir, ich könnte die letzten Tage rückgängig machen. Wie weit wären sie gegangen, wenn die Polizei nicht gekommen wäre? Hätten sie Lotty mit gebrochenen Knochen liegen lassen? Bewusstlos auf der Straße, mit einem Gehirnschaden oder tot?
Mir drehte sich der Kopf. Es war eine Erleichterung, als Max klingelte, auch wenn das der Auftakt zu einem heftigen Zusammenstoß mit ihm sein sollte. Statt Art Gioia hatte er Audrey Jameson mitgebracht. Sie war eine vielversprechende junge Ärztin am Beth Israel; ich kannte sie, weil sie fünfzehn Stunden in der Woche in Lottys Praxis aushalf. Max ging
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