Eine für vier 01 - Eine für vier
nichts.
»Na, Carmen.« Lydia legte ihre Gabel auf den Teller. »Dein Vater hat mir erzählt, wie großartig du Tennis spielst.«
Ausgerechnet in diesem Augenblick hatte Carmen den Mund absolut voll. Es kam ihr vor, als würde es fünf lange Minuten dauern, bis sie gekaut und hinuntergeschluckt hatte. »Geht so«, brachte sie hervor. Das war der Lohn für all ihre Mühe beim Kauen.
Carmen wusste, dass sie mit ihren Antworten geizte. Sie hätte sie weiter ausführen oder eine Gegenfrage stellen müssen. Aber sie war zornig. Sie war so voller Zorn, dass sie sich selbst nicht mehr verstand. Sie wollte nicht, dass Lydias Essen schmeckte. Sie wollte nicht, dass ihr Dad es so offensichtlich genoss. Sie wollte nicht, dass Krista in ihrem lavendelblauen Pullover wie ein Püppchen aussah. Sie wollte, dass Paul endlich mal den Mund aufmachte und nicht einfach nur dasaß und sie für eine arme Irre hielt. Sie hasste diese Leute. Sie wollte
nicht hier sein. Plötzlich wurde ihr schwindlig. Vor lauter Panik krampfte sich ihr Magen zusammen. Ihr Herz hämmerte in einem unregelmäßigen Rhythmus drauflos.
Sie stand auf. »Kann ich Mom anrufen?«, fragte sie ihren Vater.
»Natürlich«, sagte er und stand ebenfalls auf »Willst du nicht vom Gästezimmer aus telefonieren?«
Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Tisch und lief die Treppe hoch.
»Mamaaa«, schluchzte sie kurz darauf in den Hörer. Seit Ferienbeginn hatte sie ihre Mutter jeden Tag ein bisschen weiter zurückgestoßen, weil sie sich so auf ihren Sommer mit ihrem Vater freute. Jetzt brauchte sie ihre Mutter, und sie brauchte es auch; dass ihre Mutter diese Vorfälle vergaß.
»Was ist denn, Kleines?«
»Daddy heiratet wieder. Er hat jetzt eine ganze Familie. Eine Frau und zwei blonde Kinder und so ein richtig schickes Haus. Was soll ich hier noch?«
»Ach, Carmen. Du meine Güte. Er heiratet wieder, ja? Wer ist sie denn?«
Ihre Mom konnte nicht verhindern, dass sich in ihre Besorgnis ein wenig persönliche Neugier einschlich.
»Ja. Im August. Sie heißt Lydia.«
»Lydia - und wie weiter?«
»Das weiß ich noch nicht mal.« Carmen warf sich auf die blumenbedruckte Tagesdecke auf ihrem Bett.
Ihre Mutter seufzte. »Wie sind die Kinder?«
»Keine Ahnung. Blond. Still.«
»Wie alt?«
Carmen wollte keine Fragen beantworten. Sie wollte gehätschelt und bedauert werden. »Jugendliche. Der Junge ist älter als ich. Ich weiß das echt nicht so genau.«
»Also, das hätte er dir sagen müssen, bevor du dich auf den Weg gemacht hast.«
Carmen entdeckte in der Stimme ihrer Mutter einen Unterton von Zorn. Aber damit wollte sie sich im Augenblick nicht befassen.
»Das geht schon klar, Mom. Er wollte mir das persönlich sagen, nicht so am Telefon. Es ist nur... Ich hab gar keine Lust mehr, hier zu bleiben.«
»Ach, Schätzchen, du bist jetzt enttäuscht, weil du deinen Daddy nicht für dich allein hast.«
In dieser Formulierung fand Carmen keinen angemessenen Raum für ihre Empörung.
»Das ist es nicht«, jammerte sie. »Sie sind so...«
»Wie denn?«
»Ich kann sie nicht leiden.« Vor lauter Zorn konnte sich Carmen nicht mehr richtig ausdrücken.
»Warum nicht?«
»Einfach so. Sie können mich auch nicht leiden.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Mom.
»Ich weiß es eben«, sagte Carmen mürrisch und hasste sich selbst dafür, dass sie sich so kindisch aufführte.
»Bist du sauer auf diese Fremden oder bist du sauer auf deinen Vater?«
»Ich bin nicht sauer auf Dad«, sagte Carmen schnell, ohne auch nur einen Augenblick lang darüber nachzudenken. Er konnte schließlich nichts dafür, dass er sich in eine Frau verliebt hatte, deren Kinder Zombies waren und die über ein Gästezimmer verfügte, das einem Holiday Inn entsprungen war.
Sie verabschiedete sich von ihrer Mutter und versprach, sie morgen wieder anzurufen. Dann drehte sie sich auf den Bauch und weinte, wobei sie die Gründe selbst nicht so recht verstand.
Ein heiler, gesunder Teil ihres Gehirns signalisierte ihr, dass sie sich für ihren Dad freuen sollte. Er hatte eine Frau kennengelernt, die er so liebte, dass er sie heiraten wollte. Sein Leben war jetzt wieder vollständig geworden. Es war klar, was er wollte. Sie wusste, dass sie sich für ihn all das wünschen sollte, was er sich selbst wünschte.
Aber sie hasste sie trotzdem. Und sie hasste sich selbst für ihren Hass.
Langsam watete Bridget ins warme Wasser. Tausend Drückerfischchen flitzten um ihre Knöchel herum.
»Ich
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