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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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handelte, dass sie sich sicher fühlten könnten, oder ob noch etwas anderes dahintersteckte. Was das in dem Fall sein könnte, davon konnte ich mir aber keinerlei Vorstellung machen.
    »Alles lief, wie ich es mir gedacht habe«, sagte ich. »Ihr könnt euren Wein in aller Ruhe weitertrinken.«
    »So habe ich das nicht gemeint«, sagte Gunnar. »Ich meine nur, dass es wichtig wäre zu wissen, ob das jetzt ein abgeschlossenes Kapitel
    ist.«
    »Das ist es«, bestätigte ich, »ein abgeschlossenes Kapitel.«
    »Außerdem ist es notwendig, dass wir nach derselben Strategie verfahren, wenn die Polizei trotz allem auftauchen sollte«, erklärte Henrik. »Wir werden noch ein paar Wochen hierbleiben, und …«
    »Wie lange willst du noch bleiben?«, fragte Katarina mich und versuchte zu lächeln.
    »Ich werde übermorgen abreisen«, sagte ich.
    »Am Mittwoch«, sagte Gunnar. »Ausgezeichnet. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir hundertprozentig leugnen, dieses Mädchen gestern mit auf die Inseln genommen zu haben. Auch, dass wir sie getroffen haben. Sie war letzte Woche an einem Nachmittag ein paar Stunden mit uns zusammen, das ist alles. Mehr brauchen wir nicht zu sagen.«
    »Wie ist es mit dem Boot gelaufen?«, fragte ich.
    »Mit dem Boot gab es kein Problem«, sagte Henrik.
    »Wie schön«, erwiderte ich. »Ja, ein Mädchen mehr oder weniger, das spielt sicher keine besonders große Rolle, wie ich annehme.«
    Ich spürte, wie Anna, die direkt neben mir saß, zusammenzuckte, und dass sie wahrscheinlich etwas sagen wollte. Aber Gunnar hob einen Finger und warf ihr einen Blick zu. Das genügte, sie blieb stumm. Überhaupt sprach Anna den ganzen Abend über nicht viel. Erik auch nicht. Es waren Gunnar, Henrik und Katarina, die die Konversation am Laufen hielten, was sicher kein Zufall war.
    Wir brachen schon um Viertel vor zehn auf. Gunnar und Henrik teilten sich die Rechnung, und wir wanderten gemeinsam den Reitweg zwischen dem Ufer und dem Marschland entlang nach Hause. Erik und ich bogen ohne weiteres Geplänkel zu unserem Haus ab, wir tranken noch jeder ein Glas Calvados auf der Terrasse, bevor wir ins Bett gingen, und offenbar hatten wir nicht viel miteinander zu reden.
    »Also am Mittwoch?«, fragte er.
    »Ja«, bestätigte ich. »Ich werde vormittags aufbrechen.«
    »Das ist wahrscheinlich am besten«, sagte er.
    »Sicher«, sagte ich.
    Er lachte kurz auf. »Der Name des Mädchens«, sagte er.
    »Ja?«
    »Henrik ist draufgekommen, was er bedeutet.«
    »Was er bedeutet?«
    »Ja, oder wofür er steht jedenfalls. Wenn du ihn buchstabierst und jeden einzelnen Buchstaben nimmst. T-R-O-A-Ë … auf Englisch, kannst du es dir denken?«
    Ich überlegte eine Weile, schüttelte dann den Kopf.
    »The Root Of All Evil«, sagte Erik. »Gut, nicht?«
    »The root of all evil?«, wiederholte ich. »Das klingt, als sollte es auf jeden Fall eine Fortsetzung geben. Der Geschichte, meine ich.«
    Ich weiß selbst nicht so recht, was ich damit eigentlich meinte, und Erik antwortete nicht. Er drückte nur seine Zigarette aus und betrachtete mich wieder mit diesem verwunderten Blick.
    Dann wünschten wir uns gegenseitig gute Nacht und gingen ins Bett.
    Am Dienstagmorgen ging ich zur Bäckerei und kaufte Ouest France. Ich blätterte die Zeitung von der ersten bis zur letzten Seite durch. Trotz meines mangelhaften Französisch konnte ich mit Sicherheit sagen, dass nicht ein Wort über ein verschwundenes Mädchen darin stand.
    Das Wetter war schön, und mir war klar, dass Erik bereits an den Strand gegangen war. Wahrscheinlich Richtung Bénodet, er hatte entdeckt, dass man sich dort nackt sonnen konnte, was ihm offenbar gefiel. Ich beschloss im Haus zu bleiben, mein Gepäck zu ordnen und noch ein paar Seiten zu schreiben.
    Meine Eindrücke zusammenzufassen. Was mir als Erstes auffiel, war, wie viel doch vom Zufall gelenkt wurde – oder von Mechanismen außerhalb unserer Kontrolle jedenfalls. Als Erik mich vor Lille an der Tankstelle auflas, hatte ich dort genau achtundfünfzig Minuten gestanden und den Daumen gehoben. Ich weiß es noch so genau, weil ich beschlossen hatte, eine Stunde dort zu stehen, bevor ich ins Café zurückgehen wollte. Wäre er nur zwei Minuten später gekommen, hätten wir uns nie getroffen. Ich wäre mit einem ganz anderen Auto gefahren und irgendwo ganz anders gelandet.
    Würde Troaë dann noch leben? Es wäre einfach, diese Frage zu bejahen, aber ich glaube, das hieße, die Wirklichkeit zu vereinfachen. Es gibt

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