Eine ganz andere Geschichte
wie diese Stadt in einer lauschigen Spätsommernacht aussieht.«
»Gute Idee«, sagte Marianne. »Meinst du, wir sollten uns vorher ein bisschen mehr anziehen?«
»Ich denke, das wäre ganz gut«, sagte Gunnar Barbarotti.
Sie blieb den ganzen Samstag und den halben Sonntag. Im Laufe des Samstagabends berichtete er ihr von den drei Tagen in der Bretagne und nach und nach von dem ganzen Fall. Das hatte er nicht geplant, aber schließlich hatte ja alles damit angefangen, dass er an diesem schönen Sommermorgen in Gustabo in Hogrän den ersten Brief öffnete, also hatte sie schon einen Grund, als sie behauptete, sie hätte das Recht auf ein bisschen Information.
»Und was glaubst du?«, fragte sie, als er fertig war. »Wirklich?«
»Das ist ja das Schlimmste«, sagte er. »Ich glaube überhaupt nichts. Normalerweise hat man so ein Gefühl, wie die Dinge liegen, hier jedoch nicht. Aber ich bin auch noch nie auf so eine Geschichte gestoßen.«
Marianne runzelte die Stirn. »Das mit den ausländischen Touristen in einem Wohnmobil, wäre das eine Möglichkeit? Es stand doch irgendwo, dass das Mädchen und auch die Großmutter in einer anderen Sprache redeten, oder?«
»Zumindest die Großmutter. Ja, da kann was dran sein. Aber es ist ja der Mörder selbst, der so … ja, wie soll man sagen, wie er ist? So unwahrscheinlich?«
»Du meinst, weil er alles schreibt und berichtet?«
»Unter anderem.«
Marianne überlegte. »Aber findest du nicht, dass darin eine gewisse Logik steckt? Dass er zu einer Art Sündenbock gemacht wurde und die Verantwortung für alles aufgebürdet bekam … obwohl es doch eigentlich ein Unfall war, der alles ins Rollen gebracht hat. Ich finde es nicht so merkwürdig, wenn seine Seele von dem, was passiert ist, so aufgewühlt ist.«
Gunnar Barbarotti lächelte kurz. »Seine Seele aufgewühlt? Klingt ein bisschen altmodisch, aber das umschreibt ihn wahrscheinlich ziemlich gut.«
»Vielleicht kann man diesen Bericht als Zeichen eines gesunden Geistes ansehen«, schlug Marianne vor. »Trotz allem. Dass er immerhin das Bedürfnis hat, sich zu erklären?«
»Ja, natürlich«, sagte Barbarotti. »Das habe ich auch schon überlegt. Und diese Briefe? Die sind ja wohl nicht so einfach als Zeichen eines gesunden Geistes anzusehen, oder was meinst du?«
»Nein, da hast du sicher recht.«
Sie schwieg eine halbe Minute lang, und er sah, wie sie überlegte. Dann fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar und schüttelte den Kopf, als wollte sie diese bizarren Spekulationen loswerden und durch etwas Freundlicheres, Normaleres ersetzen. »Das ist eine schreckliche Geschichte, wie man es auch dreht und wendet«, sagte sie. »Glaubst du, dass ihr den Fall lösen werdet? Ich meine, werdet ihr ihn schnappen?«
Gunnar Barbarotti lachte auf.
»Als ich da unten war, habe ich den Finger in die Bibel gesteckt und nach einem Hinweis gesucht«, sagte er. »Weißt du, wo ich gelandet bin?«
»Nein.«
»Bei Salomons Sprüchen 20:5. Kennst du den?«
Sie überlegte ein paar Sekunden. »Etwas mit dem Herzen des Mannes und tiefem Wasser, oder?«
»Mein Gott, woher kannst du das wissen?«
»Du weißt doch, dass ich ab und zu drin lese. Und die Sprüche Salomons, die lese ich oft. Wie lautet es wörtlich?«
»Das Vorhaben im Herzen eines Mannes ist wie ein tiefes Wasser«, sagte Gunnar Barbarotti, »aber ein kluger Mann kann es schöpfen.«
»Ja, aber dann tu es doch«, lachte Marianne. »Deutlicher kann es ja wohl nicht werden. Heraus mit deinen Plänen!«
Sie trennten sich am Sonntagnachmittag. Kamen überein, sämtliche betroffenen Kinder zu informieren, ebenso Ex-Ehegatten und andere, die es möglicherweise anging, und versprachen einander, Weihnachten gemeinsam als Ehemann und Ehefrau zu feiern. Das war noch vier Monate hin, und so viele Vorbereitungen sollten ja wohl nicht nötig sein für eine ganz kleine Hochzeit in einer ganz kleinen Kirche mit einem ganz kleinen Pfarrer.
Als Marianne abgefahren war, dachte er, dass es eigentlich dumm gewesen war, nichts von Lars und Martin zu erzählen – andererseits konnte er ja immer noch so tun, als hätte er die Information gerade erst erhalten, wenn er sie im Laufe der Woche anrief. Auch hatte er nichts hinsichtlich seiner Überlegungen erwähnt, den Beruf zu wechseln, aber er selbst hatte ja in den letzten Wochen auch nicht weiter darüber nachgedacht, also war das wahrscheinlich in Ordnung so.
Es war vier Uhr, als er die Telefone einschaltete, die seit
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