Eine ganz andere Geschichte
angefangen?«
»Die Vorsaison«, erklärte Backman. »Aber das ist auch egal. Dieses Mädchen und die Großmutter, die interessieren mich. Irgendetwas müsst ihr doch rausgekriegt haben?«
»Nicht viel«, sagte Barbarotti. »Doch, eines. Ich glaube, der Name des Mädchens ist erfunden.«
»Von wem?«
»Entweder von dem Mädchen selbst oder von dem Mörder.«
»Warum glaubst du das?«
»Weil Kommissar Leblanc noch nie so einen Namen gehört hat. Und außerdem …«
»Außerdem?«
»Außerdem dieses Buchstabenspiel. The Root Of All Evil. Das ist ganz einfach zu konstruiert.«
Backman überlegte einen Moment. »Wenn es eine Konstruktion ist, dann ist es ja wohl kaum das Mädchen, das es konstruiert hat.«
»Nein, wohl kaum«, sagte Barbarotti. »Aber da ist etwas in der ganzen Geschichte, das nicht stimmt. Ich habe auch überlegt, was denn zwischen Erik und dem Mädchen passiert ist, als sie diesen Spaziergang auf der Insel gemacht haben.«
»Das ist wohl nicht so schwer auszurechnen«, sagte Backman. »Er hat es mit ihr getrieben, ganz einfach. Vielleicht war sie auch gar nicht so abgeneigt.«
»Eine Zwölfjährige?«, fragte Barbarotti.
»Vielleicht stimmt das ja auch nicht«, sagte Backman. »Aber glaube nicht, dass ich ihn verteidige.«
Dazu wusste Barbarotti nichts zu sagen.
»Aber warum haben wir sie nicht im Archiv gefunden?«, fuhr Back-man fort. »Auch wenn nicht alle Details stimmen.«
»Es gibt auf diese Frage ein paar mögliche Erklärungen«, sagte Barbarotti. »In ein paar Tagen bekommen wir das Material zu den Vermisstenanzeigen, und wenn wir sie nicht darunter finden, ja, dann müssen wir nach anderen Lösungen suchen.«
»Anderen Lösungen?«
»Ja.«
»Als da wären?«
»Können wir das morgen durchgehen?«, bat Barbarotti. »Ich habe einen anderen Gedanken, den ich gern mit dir diskutieren würde.«
»Nur gut, dass du immer noch Gedanken im Schädel hast«, sagte Eva Backman.
»Findest du?«, fragte Barbarotti.
»Ja. Denn morgen Vormittag sollst du den Fall lösen. Du sollst alle sechs Männer durchgehen, die wir hereinbekommen haben, und sehen, ob du einen aus deiner Vergangenheit kennst. So sieht der Generalplan aus.«
»Ach, wirklich?«, fragte Barbarotti. »Im Hinblick auf das Briefe-schreiben, oder?«
»Genau. Und wenn du fertig bist, kann ich wahrscheinlich Urlaub machen.«
»Ich verspreche, mein Bestes zu tun«, erklärte Barbarotti, und dann legten sie auf.
Um halb zehn Uhr abends trank er einen kleinen Whisky. Das tat er so gut wie nie, schon gar nicht an einem Sonntagabend. Aber es war medizinisch gedacht. Er hatte in seinem Kopf ganz einfach zu viele Eisen im Feuer, und er brauchte etwas, um mit ihnen fertig zu werden.
Brauchte auch etwas für den Körper. Während er dasaß und trank, versuchte er das Wichtigste zu sortieren.
Marianne? In wenigen Monaten sollten sie verheiratet sein und zusammenleben. War er wirklich bereit für so einen Schritt? Dumme Frage, natürlich war er bereit.
Die Jungs? Nächsten Sonntag, sollte er sie vor ihrem ersten Schultag in Kymlinge ins Bett bringen. Das erschien ihm merkwürdig. Aber eigentlich war es hier genauso. Wenn es etwas gab, was er nicht gebrauchen konnte, dann waren es Zögern und Zweifel.
Sara? Hier läuteten die Alarmglocken. Was um alles in der Welt wollte sie mit fünftausend Kronen? Was war da passiert? Er schob sie mit aller Kraft ins Unterbewusstsein.
Und Johan und Jenny? Er kannte sie ja kaum, hatte sie nicht mehr als fünf, sechs Mal getroffen, trotzdem sollte er die elterliche Verantwortung für sie übernehmen. Der Bulle, der sich mit Journalisten prügelt, welches Bild hatten sie von ihrem Ersatzvater eigentlich?
Nun ja, dachte Gunnar Barbarotti. Man kann nur sein Bestes geben und dann hoffen und bangen. Er trank einen Schluck Whisky und schloss die Augen.
Schließlich der Fall? Dieser ganze verfluchte Fall, aus dem man einfach nicht schlau wurde. Troaë, ein ertrunkenes Mädchen, sie erschien immer mehr zu zerfasern und nicht zu fassen zu sein – und ihre Großmutter, eine alte Frau, die eines Abends vor einem Haus im Finistère auftaucht und mit einem schwedischen Schraubenschlüssel erschlagen wird. Woher kamen sie? Würde man jemals ihre wahre Identität in Erfahrung bringen?
Oder, wie Marianne gefragt hatte: Würden sie das hier jemals aufklären?
Als der Whisky ausgetrunken war, betete er ein Existenzgebet.
Oh Herr, sende einen Strahl rein und klar in ein umnebeltes Bullengehirn. Was ist das
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