Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
Vom Netzwerk:
einen Kompromiss.
    O Herr, betete er. Sende einen Lichtstrahl in ein umnebeltes und verdunkeltes Bullenhirn. Ich sitze fest und weiß mir keinen Rat. Wirf in deiner großen Gnade einen Strohhalm herab, das ist wohl kaum eine richtige Punktefrage, aber egal. Wenn ich zumindest das Gefühl haben kann, dass ich einen Schritt in die richtige Richtung tue, wenn ich morgen zur Mittagspause gehe, dann schreibe ich dir einen Pluspunkt gut, okay? Übrigens liegst du mit elf Punkten über dem Strich, meinen Glückwunsch.
    Er wartete auf eine Antwort, doch als Einziges war ein Motorrad zu hören, das unter den Kastanien auf der anderen Seite des Bachs entlangknatterte. Verdammter Hooligan, dachte Gunnar Barbarotti, der weckt ja die halbe Stadt auf, man sollte die Polizei rufen.
    Dann trank er noch den Rest des Bieres und starrte erneut auf die Fragen. Fünf Minuten, dachte er, ich gebe ihnen noch fünf Minuten.
    Ob es mit irgendeiner Form göttlicher Wegweisung zu tun hatte oder nicht, konnte er nicht so recht sagen, aber langsam spürte er, wie sich ein Gesichtspunkt aus der Kohlengrube seines Inneren herauskristallisierte – vielleicht war es auch nur seine Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, die dabei war, vollkommen zusammenzubrechen … ein schwarzes Loch, ein weiterer trauriger Beweis dafür, dass man nur eine Sache auf einmal im Kopf bewegen kann.
    Da war etwas mit den Annas … und mit der möglichen Beziehung des Mörders zu seinen Opfern.
    Denn wenn … dachte Inspektor Barbarotti, im gleichen Moment, in dem er die Karlskirche da draußen in der dünnen Sommerdunkelheit halb zwei schlagen hörte … denn wenn man davon ausging, dass es wirklich irgendeine Beziehung zwischen dem Mörder und seinem Opfer sowie zwischen den Opfern gab – dass es sich also nicht nur um einen Wahnsinnigen handelte, der die Namen aus dem Telefonbuch herausfischte –, dann musste es doch ein wahnsinnig großes Risiko für den Mörder bedeuten, den Namen seines geplanten Opfers Nummer zwei auf diese Art und Weise zu präsentieren?
    Da es möglich war, dass Opfer Nummer zwei mit Opfer Nummer eins bekannt war – oder vielleicht war bekannt schon zuviel gesagt, korrigierte sich Inspektor Barbarotti, während er vorsichtig zurück in die Küche trottete und Bier Nummer zwei holte, geschmeidig und auf der Hut wie ein Panther, damit der Gedankenfaden ja nicht riss –, dass es aber zumindest einen Zusammenhang gab, und weiter, dass Opfer Nummer zwei diesen Zusammenhang möglicherweise der Polizei aufdecken konnte, und …
    … und schließlich vielleicht auch einen Wink hinsichtlich des kleinsten gemeinsamen Nenners geben könnte, nämlich den Namen des Mörders.
    Nämlich den Namen des Mörders, wiederholte er leise für sich. Und falls dieser Mörder nun tatsächlich so ein minutiös planender, widerlicher Typ war, wie Profiler Lillieskog vorgeschlagen hatte, dann wäre es ja wohl …
    … ja, dann wäre es ja wohl verdammt merkwürdig, wenn er der Polizei die Chance gäbe, mit Anna Eriksson zu sprechen, bevor er sie umbrachte! Genau.
    Genau so. Gunnar Barbarotti trank einen Schluck Bier und starrte aus dem Fenster. Stimmte irgendetwas nicht an seinen Überlegungen? Er konnte keinen Fehler sehen. Und was bedeutete das für die weitere Arbeit?
    Es vergingen einige Sekunden, bevor er die Antwort fand: Genau, das bedeutete ganz einfach, dass sie nicht die Bohne davon hätten, morgen mit den sechzehn Annas zusammenzusitzen und mit ihnen zu reden – nein, so viele waren es natürlich nicht, einige befanden sich an anderen Orten, weit entfernt von Kymlinge, aber trotzdem – einmal angenommen …?
    … einmal angenommen, die richtige Anna Eriksson befände sich mit höchster Wahrscheinlichkeit in der kleinen Gruppe der drei, zu denen es nicht gelungen war, einen Kontakt herzustellen.
    Wenn wirklich geplant war, dass sie sterben sollte, dann hätte sie wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben.
    Oder sie war bereits tot.
    Er saß da und prüfte diese Schlussfolgerung in aller Ruhe, während er sein zweites Bier austrank und ihm langsam dämmerte, dass es genau diese Art von Schlussfolgerungen war, die man zu dieser Tageszeit so leicht ziehen konnte. Mitten in der Nacht, allein an seinem Schreibtisch mit einem Bier, einem abnehmenden Mond, einem morastigen Bach.
    Aber die Einsicht, dass die Schlussfolgerung vollkommen korrekt war, wog mindestens genauso schwer. Und dann tauchte das Bild des höheren Machthabers und des Kartenspiels wieder

Weitere Kostenlose Bücher