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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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geh nach Hause, schließ dich ein, dann werde ich kommen und dich abholen!
    »Hallo, bist du noch da?«
    »Ja … ich bin noch da. Bist du dir auch ganz sicher … ich meine, was für eine Art von Musiker denn?«
    Er schickte ein blitzschnelles Stoßgebet zum Lieben Gott. Sag, dass er Cellist im London Philharmonie Orchestra ist! Drei Punkte! Egal, was, aber nicht …
    »Er spielt den Bass in einer Band, die hier im Pub häufiger auftritt.«
    Oh Gott, dachte Gunnar Barbarotti. Ich habe es gewusst. Nasenring und Tätowierungen und fettiges Haar, das drei Kilo wiegt.
    »Im Pub?«
    »Papa, ich habe mit dem anderen Job aufgehört. Ich arbeite jetzt nur im Pub, das macht total Spaß. Alle sind so nett, und du brauchst dir überhaupt keine Sorgen zu machen.«
    »Du bist neunzehn, Sara.«
    »Ich weiß, wie alt ich bin, Papa. Was hast du selbst gemacht, als du neunzehn warst?«
    »Gerade deshalb mache ich mir Gedanken«, brachte er heraus und wurde mit einem neuen Lachen belohnt.
    »Weißt du, Papa, ich liebe dich.«
    »Ich liebe dich auch, Sara. Aber du musst auf dich aufpassen. Heute ist es ganz anders als zu der Zeit, als ich jung war, und für ein Mädchen ist es noch viel schwieriger. Wenn du nur einen Bruchteil von dem gesehen hättest, was ich gesehen habe …«
    »Ich weiß, liebster Papa. Aber ich bin nicht doof. Du kannst mir vertrauen, und wenn du Richard einmal kennenlernst, dann verspreche ich dir, du wirst ihn mögen.«
    Ich würde ihn vierzehn Stunden ohne Pinkelpause verhören, dachte Gunnar Barbarotti. Und ihn anschließend in die Äußere Mongolei verbannen.
    »Warum hast du aufgehört, in der Boutique zu arbeiten?«, fragte er. »Ich finde, ein Pub ist nicht gerade das richtige Milieu für ein neunzehnjähriges Mädchen.«
    »Papa«, sagte Sara und seufzte geduldig. »Überleg doch mal, in jedem Pub überall auf der Welt stehen neunzehnjährige Mädchen und bedienen. Ich arbeite nur vier Abende in der Woche und verdiene doppelt so viel wie in diesem verschlafenen Laden. Mach dir keine Sorgen. Ich rauche nicht, ich habe nie ungeschützten Sex, und ich trinke nicht einmal die Hälfte von dem, was du trinkst.«
    »Na gut«, sagte Gunnar Barbarotti und merkte, dass es an der Zeit war, das Handtuch zu werfen. »Ich möchte ja nur, dass es dir gut geht, das verstehst du doch. Wie geht es übrigens Malin?«
    Malin war die Freundin, mit der Sara zusammen nach London gereist war und mit der sie eine Wohnung in Camden Town teilte.
    »Der geht es auch gut«, versicherte Sara. »Aber sie hat noch keinen Freund.«
    »Kluges Mädchen«, sagte Gunnar Barbarotti. »Ich werde dich im September besuchen, wie wir es verabredet haben. Das heißt, wenn ich immer noch willkommen bin?«
    »My heart belongs to daddy«, sagte Sara, und weil das das Beste war, was sie während des ganzen Gesprächs gesagt hatte, verabschiedeten sie sich und versprachen, nächste Woche wieder miteinander zu telefonieren.
    Er blieb auf dem Balkon sitzen, während sich der Himmel über den Dächern und den Ulmen entlang des Baches langsam dunkelblau färbte. In einem Jahr sitze ich auf einem anderen Balkon und schaue über den Öresund, dachte er plötzlich. Helsingör und Louisiana und was sich sonst noch so bietet.
    Das stelle man sich einmal vor.
    Oder man stelle sich vor, dass es nicht so wird. Dass er sämtliche Sommernächte, die er in seinem Leben noch genießen würde, hier auf diesen drei Quadratmetern verbringen sollte. Gerade heute Abend sah es nicht so schlecht aus, aber trotzdem. Trotzdem?
    Das Schlimmste war, dass es ihm nicht gerade schwerfiel, sich diese Möglichkeit vor seinem inneren, lauteren Auge auszumalen. Mit der Zeit würde die Müdigkeit in ihm immer größer werden, es war lächerlich, sich einzureden, er würde in zwei oder fünf oder acht Jahren eher zu einer Veränderung bereit sein als jetzt.
    Wenn man mit siebenundvierzig nicht auf der Höhe ist, dann wird man es auch nicht mit siebenundfünfzig sein, dachte er. Es sei denn, man sorgt dafür, dass die Dinge sich verändern.
    Aber er war doch geneigt dazu. So verdammt bereit. Am Mittwoch würde er Marianne anrufen und es ihr mitteilen. Und dann hieß es nur noch hoffen, dass sie nicht von Zweifeln befallen war. Irgendwie war es schon erstaunlich, dass er ein derartiges Vertrauen in sie setzte, sie kannten sich ja noch nicht einmal ein Jahr, hatten sich bisher nur acht- oder zehnmal getroffen, aber vielleicht war es einfach auch nur die Einsamkeit, die ihn voranschubste.

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