Eine geheime Liebe - Roman
werden lässt. Du wolltest, dass ich mich in das Leben verliebe, während ich mich vor ihm geschützt habe. Ich war förmlich, um Fremde von mir fernzuhalten. Ich weiß nicht, wer gesagt hat: »Frauen begnügen sich nicht damit, ihre Leidenschaften auszuleben, sie reden auch noch darüber. So leben sie sie doppelt.« Genauso warst Du. Ich habe Dich unter Vorbehalt geliebt. Maßvoll. Zu spät habe ich bemerkt, dass das nicht geht. Lange habe ich mich nach den Gründen für meine Verweigerung gefragt, dann habe ich es aufgegeben. Und habe nicht mehr auf Dich gewartet. Während ich alt geworden bin, habe ich das Alter stets herbeigesehnt. Für mich war es gleichbedeutend mit Weisheit. Zu meiner Überraschung habe ich stattdessen die Unschuld wiedergefunden. Ich würde mein Leben
nicht als verschenkt betrachten, denn die Beziehung zu meinen Töchtern ist immer noch unbelastet. Meine Bücher bleiben in diesem Haus zurück, außerdem eine gewisse Seelenruhe, die ihnen hoffentlich den nötigen Schwung gibt, es besser zu machen als ich. Mit den Jahren bin ich duldsamer geworden.
Mich für Dich zu entscheiden, erschien mir damals unmöglich. Als eine Frage von Tatsachen. Nicht als eine des Geistes.
Eines weiß ich ganz sicher: Du bist die großartigste Briefeschreiberin, die ich je kennen gelernt habe.
Immer der Deine,
Andrea
Finale
Giulia und Marta gleichen einander wie ein Ei dem anderen, nur dass eine Laune der Natur ihnen dichtes, glänzendes, aber verschiedenfarbiges Haar geschenkt hat. Die eine hat feines Haar, das so golden ist wie reifes Getreide. Die andere hat rötliches, ins Schwarze changierendes Haar, das ihr in wilden Locken ins Gesicht fällt. Meine Tochter besteht darauf, ihnen die gleichen Sachen anzuziehen, und hört nicht auf meine Ermahnungen, dass sie den Mädchen die Möglichkeit geben muss, sich voneinander zu unterscheiden. Die Zwillinge rächen sich mit kindlicher Grausamkeit, indem sie Muster und Farben in unerträglicher Weise kombinieren. Unerträglich zumindest in den Augen ihrer Mutter.
Sie waren vor kurzem angekommen und liefen durch die Zimmer, die eine solche Begeisterung und ein so ohrenbetäubendes Geschrei nicht mehr gewöhnt sind. Das ist eine Frage der Chromosomen, die mich nicht weiter stört, da sich auch meine Stimme deutlich über die der anderen erhebt, schrill und hoch, wie sie ist. Die beiden waren aus dem Häuschen, weil sie vor ihren Cousins hier unten angekommen waren. Das helle, geräumige Blumenzimmer mit den eleganten Cretonne-Bettdecken, die farblich auf die provenzalische
Tapete mit ihren Mohnblüten und Ähren abgestimmt sind, würde nun ihnen gehören. Ein Privileg. Dieses Zimmer, das von denen der Erwachsenen weit entfernt liegt, ist ein heimliches Reich, in dem die Kinder mysteriöse Verstecke aufgetan haben. Zwischen diesen Wänden haben sie sprechen gelernt. Und ich habe ihnen dort das Träumen beigebracht. Niemand, der älter als zehn war, durfte diesen Raum betreten, denn sie hatten ihn mit Kostümen für die Aufführung vollgestopft. Sie mit dieser Begeisterung bei den Vorbereitungen zu erleben, hatte etwas Befreiendes, da ich vom Besuch der letzten Woche immer noch zutiefst bewegt war.
Ich war in meinem unveränderlichen Alltagstrott gestört worden und wusste nicht, wie ich dorthin zurückgelangen sollte. Zur Ablenkung blieb ich ständig in Bewegung, nahm körperlich anstrengende Arbeiten in Angriff, rückte Gegenstände hin und her, räumte die Zimmer um, sortierte die Handtücher im Badezimmer nach Farben, legte Lavendel in die Schubladen, probierte neue Rezepte aus. Ordnung zu schaffen, war nützlich, um mich von dem leichten Unbehagen zu befreien, das mich seit dem Tag ihrer Abreise nicht mehr verlassen hatte. Innerlich war ich unentwegt mit Lucrezia beschäftigt. Unsere Gespräche hatten mich in Gemütszustände versetzt, von denen ich gedacht hatte, dass sie längst ihre Existenzberechtigung verloren hätten. In mir pochte die alte Leidenschaft, abgemildert mit den Jahren, aber immer noch lebendig. Unauslöschlich. Das Gefühl hatte sich mit ihrer hellen Haut eingeschlichen und
gewann nun in der Erinnerung an die letzte Woche und an das Gesicht dieser Frau an Gestalt. Es war, als hätte das Wort »Schicksal« eine neue Bedeutung erhalten. Das Alter präsentierte sich nicht wie eine Ermunterung zu abgeklärter Weisheit und auch nicht wie eine summarische Zusammenfassung von Jahren. Es war einfach das Glück, die Erinnerung wiedergefunden zu haben.
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