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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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scheinen immer die gleichen zu sein, denn stets erfolgt darauf ein Drängen des Pöbels nach dem dritten Karren hin. Die Reiter deuten häufig mit ihren Säbeln nach einem Mann auf dem dritten Karren hin. Jedermann will wissen, welcher es ist; er steht hinten in dem Karren, hat den Kopf gesenkt und unterhält sich mit einem einfachen Mädchen, das seitwärts sitzt und seine Hand festhält. Die Szene um ihn her ist ihm gleichgültig; er spricht ohne Unterlaß mit dem Mädchen. Da und dort erhebt sich in der langen Straße von St. Honoré ein Geschrei gegen ihn; wenn es überhaupt einen Ein
druck auf ihn macht, so entlockt es ihm nur ein ruhiges Lächeln und ein Schütteln des Kopfes, das ihm das lose Haar tiefer ins Gesicht wirft. Er kann seinem Gesicht nicht leicht beikommen, da seine Arme gebunden sind.
    Auf den Stufen einer Kirche steht das Gefängnisschaf und erwartet die Karren. Er sieht in den ersten hinein – nicht da; in den zweiten – nicht da. Schon fragt er sich selbst: ›Hat er mich geopfert?‹ Aber wie er den dritten erblickt, klärt sich sein Gesicht auf.
    »Welches ist Evrémonde?« fragt ein Mann hinter ihm.
    »Der dort hinten.«
    »Dessen Hand das Mädchen hält?«
    »Ja.«
    Der Mann ruft: »Nieder mit Evrémonde! Zur Guillotine mit allen Aristokraten! Nieder mit Evrémonde!«
    »Seid still!« flüstert ihm der Spion schüchtern zu.
    »Warum, Bürger?«
    »Er geht hin, um seine Vergehen mit seinem Leben zu sühnen. In fünf Minuten hat er gebüßt. Laßt ihn in Frieden.«
    Da der Mann zu schreien fortfährt: »Nieder mit Evrémonde!«, wendet ihm für einen Augenblick Evrémonde das Gesicht zu. Er sieht den Spion, betrachtet ihn aufmerksam und fährt weiter.
    Die Uhren schlagen drei; die in den Volkshaufen gepflügte Furche wendet sich, und die aufwärts gerichteten Gesichter ziehen den letzten Karren nach, der Guillotine zu. Um das Gerüst her sitzt wie in einem öffentlichen Lustgarten auf Stühlen eine Anzahl emsig strickender Weiber. Auf einem der vordersten Stühle steht die Rache und sieht sich nach ihrer Freundin um. »Therese!« ruft sie mit ihrer schrillen Stimme. »Wer hat sie gesehen? Therese Defarge!«
    »Sie hat sonst nie gefehlt«, sagt eine von den Strickerinnen.
    »Nein, und wird auch heute nicht fehlen«, versetzt die Rache ärgerlich.
    »Therese!«
    »Lauter!« rät die andere.
    Ja! Lauter, Rache, viel lauter; und doch wird sie dich kaum hören. Noch lauter, Rache, und vielleicht mit einem kleinen Fluche bekräftigt; es wird sie kaum herbringen. Schick die Weiber aus, um die Säumige überall zu suchen. Diese Botinnen haben zwar Schreckliches genug getan, aber es ist sehr zweifelhaft, ob eine von ihnen bereit ist, so weit zu gehen, bis sie sie findet.
    »Wie ärgerlich!« ruft die Rache, auf dem Stuhl mit dem Fuße stampfend, »und die Karren sind schon alle da! Evrémonde wird abgefertigt sein im nächsten Augenblick, und sie fehlt. Seht da ihr Strickzeug in meiner Hand und ihren Stuhl, den ich ihr aufgehoben habe. Ich möchte schreien vor Verdruß und Ärger.«
    Während die Rache von ihrem erhöhten Standpunkt herabsteigt, um ihren Unmut auszutoben, beginnen die Karren ihre Ladungen abzusetzen. Die Priester der Guillotine sind in ihrem Ornat und bereit. Ritsch! – Ein Kopf wird in die Höhe gehalten, und die Strickerinnen, die kaum die Augen erhoben und nach ihm hingeschaut hatten, als er noch denken und sprechen konnte, zählen eins.
    Der zweite Karren entleert sich und fährt weiter. Der dritte kommt heran. Ritsch! – Und die Strickerinnen, die sich keinen Augenblick in ihrer Arbeit stören lassen, zählen zwei.
    Der vermeintliche Evrémonde steigt ab, und nach ihm wird die Näherin heruntergehoben. Er hat beim Aussteigen ihre geduldige Hand nicht losgelassen und hält sie noch immer, wie er ihr versprochen. Er gibt ihr eine Stellung, daß sie der unheimlichen Maschine, die stets auf- und niedergeht, den Rücken zuwendet; sie sieht zu ihm auf und dankt ihm.
    »Ohne Euch, lieber Fremder, wäre ich nicht so gefaßt, denn ich bin von Natur ein furchtsames, armes Geschöpf. Ich hätte nicht vermocht, meine Gedanken dem zuzuwenden, der in den Tod gegangen ist, damit wir heute in ihm Trost und Hoffnung finden. Wahrhaftig, Euch hat der Himmel mir zugesandt.«
    »Oder Euch mir«, sagt Sydney Carton. »Haltet Eure Augen auf mich gerichtet, mein liebes Kind, und achtet nicht auf die anderen Dinge.«
    »Ich habe keinen Sinn für sie, solange ich Eure Hand festhalte; und laß ich sie

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