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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Blick voll Verachtung, den ihm die dunklen Augen Madame Defarges zuwarfen), er sei jede Stunde des Tages ein bißchen um seine persönliche Sicherheit in Angst.
    »Ich werde auch an dem gleichen Platze zu tun haben«, sagte Madame. »Wenn es vorüber ist – ich will sagen, um acht Uhr heute abend –, kommt Ihr zu mir nach Saint Antoine; wir wollen dann unsere Klage gegen diese Leute bei meiner Sektion vorbringen.«
    Der Holzhacker versicherte, er werde stolz darauf sein und sich geschmeichelt fühlen, der Bürgerin aufzuwarten. Als die Bürgerin ihn ansah, wurde er verlegen; er wich ihrem Blick aus wie ein kleiner Hund, zog sich hinter sein Holz zurück und verbarg seine Verwirrung hinter dem Griff einer Säge.
    Madame Defarge zog den Geschworenen und die Rache etwas näher an die Tür und erklärte ihnen ihre weiteren Absichten:
    »Sie wird jetzt zu Hause sein und dort den Augenblick seines Todes erwarten. Natürlich trauert sie und grämt sich um
ihn. Ich werde sie in einer Stimmung finden, in der sie die Republik der Ungerechtigkeit zeiht – und mit deren Feinden sympathisiert. Ich will zu ihr gehen.«
    »Welche wunderbare Frau – welche anbetungswürdige Frau!« beteuerte Jacques drei entzückt.
    »Oh, meine Teuerste!« rief die Rache und umarmte sie.
    »Nimm mein Strickzeug mit«, sagte Madame Defarge, indem sie den Knäuel ihrem Leutnant übergab, »und halt es mir auf meinem gewöhnlichen Sitze bereit. Hüte mir meinen Stuhl. Geh sogleich hin; denn wahrscheinlich wird es heute einen größeren Zulauf geben als sonst.«
    »Ich gehorche bereitwillig den Befehlen meines Chefs«, erwiderte die Rache, indem sie Madame auf die Wange küßte. »Du wirst dich doch nicht verspäten?«
    »Ich werde dort sein, noch ehe es anfängt.«
    »Und bevor die Karren anlangen. Sieh zu, meine Seele«, rief ihr die Rache nach, denn sie war bereits auf der Straße draußen, »daß du noch vor dem Eintreffen der Karren dort bist.«
    Madame Defarge winkte leicht mit der Hand, um ihr damit anzudeuten, sie möge sich darauf verlassen, daß sie zu guter Zeit kommen werde, trabte durch den Schmutz und verschwand an der Ecke der Gefängnismauer. Die Rache und der Geschworene sahen ihr nach und belobten höchlich ihre schöne Figur und ihren hohen Sinn.
    Es gab in jener Zeit viele Weiber, die von der Hand eben dieser Zeit furchtbar verändert waren, aber keine darunter, die schrecklicher gewesen wäre als das erbarmungslose Wesen, das gerade jetzt durch die Straßen schritt. Mit einem festen und furchtlosen Charakter, einer schnell sich zurechtfindenden Schlauheit, einem sehr entschiedenen Willen und jener Art von Schönheit begabt, die sich nicht nur mit Festigkeit und Leidenschaftlichkeit recht gut verträgt, sondern auch bei an
deren eine Anerkennung solcher Eigenschaften erzwingt, mußte sie unter allen Umständen in einer Periode wilder Bewegung eine Rolle spielen. Da sie aber von Kindheit an aus dem Gefühl erlittenen tiefen Unrechts den bittersten Haß gegen eine gewisse Klasse gesogen, so hatte die Gelegenheit sie zu einer Tigerin umgewandelt. Das Mitleid war ihr ein durchaus fremdes Gefühl, und wenn sie je einer solchen Regung zugänglich gewesen, so war sie doch längst in ihrer Seele erstorben.
    Es machte ihr nichts aus, wenn ein Unschuldiger für die Verbrechen seiner Vorfahren starb; sie sah nicht ihn, sondern sie. Sie kehrte sich nicht daran, daß sein Weib zur Witwe, sein Kind zur Waise wurde; ja, die Strafe genügte ihr nicht einmal, denn auch sie zählte sie zu ihren Feinden, die sie opfern wollte und die nach ihrer Meinung kein Recht zu leben hatten. Eine Berufung an ihr Herz wäre ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen, denn sie war sogar grausam gegen sich selbst. Hätte sie in einem der vielen Straßengefechte, in denen sie mitkämpfte, eine Todeswunde niedergestreckt, so hätte sie sich nicht bemitleidet, und wäre sie morgen zur Guillotine geführt worden, so würde sie auf dem Gang dahin keinem sanfteren Gefühl als dem wilden Wunsche Raum gegeben haben, ihren Platz mit dem Menschen zu wechseln, dem sie ihn zu verdanken hatte.
    Solch ein Herz trug Madame Defarge unter ihrem rauhen Gewand, das, so wenig sie Wert darauflegte, auf eine seltsame Art vortrefflich zu ihr paßte. Unter ihrer groben roten Mütze quoll reich das dunkle Haar hervor. In ihrem Busen hatte sie eine geladene Pistole und in den Falten ihres Kleides einen scharfen Dolch verborgen. So ausgerüstet, ging Madame Defarge mit dem zuversichtlichen

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