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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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nacht gibt's nicht viel zu kochen, mein Gedächtnis«, sagte Mr. Stryver heiter, während er sich unter seinen Papieren umsah.
    »Wieviel?«
    »Nur zwei Gänge.«
    »Gib mir den schlimmsten zuerst.«
    »Hier ist er, Sydney. Fang an!«
    Der Löwe machte sich's auf einem Sofa hinter dem Trink
tisch bequem, während der Schakal sich an einem anderen niederließ, der mit Papieren bedeckt war, aber doch in handgerechter Nähe der Flaschen und Gläser stand. Beide langten nicht wenig zu, doch jeder in einer anderen Weise. Der Löwe war meist zurückgelehnt, hatte die Hände im Hosenbund stecken und schaute ins Feuer oder kokettierte gelegentlich mit einem kleineren Aktenstück; der Schakal dagegen war bald mit den gefurchten Zügen gespannter Aufmerksamkeit so sehr in sein Geschäft vertieft, daß seine Augen nicht der nach dem Glas sich ausstreckenden Hand folgten und er oft lange umhertasten mußte, bis er es an die Lippen führen konnte. Zwei- oder dreimal wurde der Gegenstand der Beschäftigung so schwierig, daß der Schakal die gebieterische Notwendigkeit einsah, aufzustehen und seine Tücher frisch anzufeuchten. Von diesen Wallfahrten zu Krug und Becken kehrte er mit einem so merkwürdig feuchten Kopfzierat zurück, daß keine Worte ihn zu beschreiben vermögen; er nahm sich darin um so komischer aus, weil das ernste, nachdenkende Gesicht schroff dagegen abstach.
    Endlich hatte der Schakal einen soliden Imbiß für den Löwen beisammen und bot ihn ihm dar. Der Löwe nahm ihn bedächtig und vorsichtig hin, traf da und dort eine Auswahl und machte seine Bemerkungen darüber, wobei der Schakal treulich Beihilfe leistete. Nachdem der Imbiß gehörig bearbeitet worden war, steckte der Löwe seine Hände wieder in den Hosenbund und legte sich nieder, um nachzudenken. Der Schakal bediente jetzt seine Kehle mit ordentlichen Zügen und seinen Kopf mit einer frischen Anfeuchtung, worauf er ein zweites Mahl zu sammeln sich anschickte. Dieses Gericht präsentierte er schließlich dem Löwen in der früheren Weise, und es wurde drei Uhr morgens, bis auch das zweite mundgerecht war.
    »Und nun wir fertig sind, füllst du deinen Humpen mit Punsch, Sydney«, sagte Mr. Stryver.
    Der Schakal nahm die Handtücher von seinem dampfenden Kopfe, schüttelte sich, gähnte, schauderte und tat, wie ihm geheißen war.
    »Du bist heute in der Sache mit den Kronzeugen sehr gut gewesen, Sydney. Jede Frage hat verfangen.«
    »Bin ich nicht immer gut?«
    »Das will ich nicht leugnen. Doch warum bist du heute so rauhborstig? Hilf mit Punsch nach, daß du geschmeidiger wirst.«
    Der Schakal ließ ein verwahrendes Grunzen vernehmen und gehorchte abermals.
    »Der alte Sydney Carton von der alten Shrewsbury-Schule«, sagte Stryver, mit dem Kopfe nickend, als er die Gegenwart seines Gefährten mit dessen Vergangenheit verglich, »die alte Schaukel Sydney. In der einen Minute oben, in der anderen unten, im einen Augenblick heiter, im andern verzweifelnd.«
    »Ach«, entgegnete der andere seufzend, »freilich derselbe Sydney mit dem nämlichen Glück. Damals schon machte ich anderen Knaben ihre Aufgaben und kam selten an die meinigen.«
    »Und warum nicht?«
    »Das weiß Gott. Ich glaube, es lag in meiner Natur.«
    Er steckte die Hände in die Taschen, streckte die Füße von sich weg und sah ins Feuer.
    »Carton«, sagte sein Freund, sich mit einer prahlerischen Miene gegen ihn erhebend, als sei der Kaminrost der Ofen, in dem feste Entschlüsse geschmiedet würden, und als fordere es die Freundschaftspflicht von ihm, den alten Sydney Carton von der alten Shrewsbury-Schule da hineinzustoßen. »Deine Natur ist und war immer lahm. Du bietest keine Willenskraft, keine Energie auf. Sieh mich an!«
    »Pah, Possen!« entgegnete Sydney mit einem leichteren und gutmütigeren Lachen; »du wirst doch nicht moralisieren wollen?«
    »Wie hab ich's gemacht, um durchzudringen?« sagte Stryver.
    »Und wie mach ich's noch immer?«
    »Ich denke, du bezahlst mich, damit ich dir helfe. Aber es ist in die Luft gesprochen, wenn du mir mit solchen Vorstellungen kommst. Was du von mir verlangst, das tu ich. Du warst immer in der Vorderreihe und ich in der hintern.«
    »Ich mußte in die Vorderreihe zu kommen suchen; wurde ich denn darin geboren?«
    »Ich bin bei der Feierlichkeit nicht zugegen gewesen, möchte es aber fast glauben«, sagte Carton. Er lachte wieder, und sein Kamerad lachte mit.
    »Vor Shrewsbury, in Shrewsbury und seit Shrewsbury«, fuhr Carton fort, »bist du

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