Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
täglich Mr. Stryvers rotem Gesicht begegnen, wie es aus dem Beet von Perücken, einer großen Sonnenblume ähnlich, die aus einem Garten voll grellfarbiger Kameraden dem Gestirn des Tages entgegenschoß, sich vor das Antlitz des Lord-Oberrichters in den Gerichtshof von King's Bench drängte.
    Seine Zunftgenossen wollten einmal die Wahrnehmung gemacht haben, Mr. Stryver sei zwar ein glatter, schnell fertiger, kühner und keine Skrupel kennender Mann; aber es fehle ihm doch an dem für einen Advokaten so wichtigen und notwendigen Geschick, aus einer Summe von Angaben das Wesentliche zusammenzufassen. In dieser Hinsicht hatte er sich jedoch merkwürdig vervollkommnet. Je mehr er ins Geschäft hineinkam, desto mehr schien seine Fähigkeit, auf den Kern einer Sache einzugehen, zu wachsen, und wie spät er auch in die Nacht hinein mit Sydney Carton zechte, ging es bei ihm des anderen Morgens doch wie am Schnürchen.
    Sydney Carton, ein Faulpelz, von dem sich kein Mensch etwas versprach, war Stryvers großer Bundesgenosse. Was von den beiden zwischen Sankt Hilari und Michaelis zusammengetrunken wurde, hätte ein Kriegsschiff flottmachen können. Stryver hatte nie eine Verhandlung, ohne daß Carton mit den Händen in den Rocktaschen dabei war und die Decke des Gerichtssaals anstierte. Sie bereisten zusammen den Gerichtsbezirk und feierten auch dabei ihre gewöhnlichen Orgien bis tief in die Nacht hinein; ja, man sagte Carton sogar nach, daß man ihn gelegentlich bei hellem Tag unsicheren Schritts und verstohlen wie einen ausschweifenden Kater nach Hause
habe schleichen sehen. Endlich begann unter denen, die sich für die Sache interessierten, die Ansicht in Umlauf zu kommen, Sydney Carton werde zwar nie einen Löwen abgeben, sei aber ein erstaunlich guter Schakal und leiste Mr. Stryver in dieser bescheidenen Eigenschaft ausgezeichnete Dienste.
    »Zehn Uhr, Sir«, sagte der mit dem Wecken beauftragte Kellner.
    »Zehn Uhr, Sir.«
    »Was gibt's?«
    »Zehn Uhr, Sir.«
    »Was meint Ihr damit? Zehn Uhr nachts?«
    »Ja, Sir. Euer Ehren haben befohlen, Euch zu wecken.«
    »Ah, ich erinnere mich. Gut; sehr gut.«
    Nach einigen trägen Versuchen, wieder einzuschlafen, die der Kellner geschickt durch ein anhaltendes und fleißiges Schüren des Feuers bekämpfte, stand er auf, drückte sich den Hut auf den Kopf und ging weg. Er bog gegen den Temple hin ein und begab sich, nachdem er, um sich aufzufrischen, einige Umwege gemacht hatte, nach Stryvers Wohnung.
    Stryvers Schreiber, der den nächtlichen Konferenzen nie beiwohnte, war nach Hause gegangen, und der Prinzipal öffnete selbst die Tür. Er hatte Pantoffeln und einen weiten Schlafrock an und trug größerer Bequemlichkeit halber kein Halstuch. Stryver hatte einen gewissen wilden, schlaffen und welken Zug um die Augen, den man bei allen Männern seiner Schicht beobachtet, wenn sie flott leben, und der sich unter verschiedenen künstlerischen Verhüllungen in den Porträts jedes trinkfreudigen Zeitalters verrät.
    »Du kommst recht spät, mein Gedächtnis«, sagte Stryver.
    »Um die gewöhnliche Zeit; vielleicht ein Viertelstündchen später.«
    Sie begaben sich in ein rauchbraunes, von einem lodernden
Feuer erwärmtes Zimmer voller Bücher und umhergestreuter Akten. Ein Kessel dampfte auf dem Feuer, und mitten in dem Aktenwust stand einladend ein Tisch mit einem reichlichen Vorrat von Wein, Branntwein, Rum, Zucker und Zitronen.
    »Ich sehe, du hast schon eine Flasche getrunken, Sydney.«
    »Ihrer zwei sogar heute abend. Ich habe mit dem Klienten des Tages gegessen oder doch seiner Mahlzeit zugesehen – es kommt auf eines hinaus.«
    »Das war ein feiner Zug, Sydney, den du für die Identifizierung brachtest. Wie bist du darauf gekommen? Wann fiel dir's ein?«
    »Ich dachte, er sei ein ziemlich hübscher Bursche, und es kam mir dabei der Gedanke, ich könnte nahezu auch so ein Kerl sein, wenn ich nur ein bißchen Glück gehabt hätte.«
    Mr. Stryver lachte, daß ihm der frühreife Bauch schütterte. »Du und dein Glück, Sydney! Komm – ans Werk, ans Werk.«
    Mit ziemlich verdrießlicher Miene machte sich's der Schakal mit seinem Anzug bequem, ging in ein anstoßendes Zimmer und kam mit einem großen Krug kalten Wassers, einem Becken und ein paar Handtüchern wieder zurück. Er tauchte die Handtücher ins Wasser, wrang sie ein wenig aus, belegte sich damit den Kopf, daß er ganz abscheulich anzusehen war, nahm an dem Tische Platz und sagte:
    »So, jetzt bin ich bereit.«
    »Heute

Weitere Kostenlose Bücher