Eine Geschichte aus zwei Städten
zu achten, »ich weiß wahrhaftig nicht, was Euch die Sache angeht. Ihr werdet mir's zugute halten, wenn ich, der ich so viel älter bin als Ihr, mir diese Bemerkung erlaube, denn ich sehe wirklich nicht ein, was für ein Geschäft Ihr dabei macht.«
»Geschäft! Gott behüt Euch – ich habe kein Geschäft!« sagte Mr. Carton.
»Es ist wirklich schade, daß Ihr keines habt, Sir.«
»Kommt mir auch so vor.«
»Denn in diesem Falle würdet Ihr ihm vielleicht nachgehen«, fügte Mr. Lorry bei.
»Gott steh Euch bei, nein, das tät ich nicht«, sagte Mr. Carton.
»Wohlan, Sir«, rief Mr. Lorry, der ob der Gleichgültigkeit des anderen in Feuer geriet, »ein Geschäft ist etwas sehr Gutes, etwas sehr Achtbares. Und, Sir, wenn das Geschäft einem Zwang und Schweigen auferlegt oder andere Hemmungen, so weiß ein hochherziger junger Gentleman wie Mr. Darnay diesem Umstand Rechnung zu tragen. Mr. Darnay, gute Nacht; Gott behüte Euch, Sir. Ich hoffe, daß mit diesem Tag ein Leben voll Glück und Wohlfahrt für Euch beginnt. – He, eine Sänfte!« Vielleicht ein wenig ärgerlich über sich selbst wie über den Advokaten, stürmte Mr. Lorry in seine Sänfte hinein und ließ sich zu Tellsons tragen. Carton, der nach Portwein roch und augenscheinlich nicht mehr ganz nüchtern war, lachte ihm nach und wandte sich an Darnay:
»Es ist ein seltsamer Zufall, daß wir beide, ich und Ihr, so zusammengeworfen wurden. Oder kommt es Euch nicht auch seltsam vor, daß Ihr in dieser Nacht allein mit Eurem Ebenbild hier auf dem Straßenpflaster steht?«
»Es ist mir noch immer«, erwiderte Charles Darnay, »als gehörte ich noch nicht dieser Welt an.«
»Das nimmt mich nicht wunder, da Ihr auf Eurem Weg nach der andern schon ziemlich weit gekommen wart. Eure Stimme klingt schwach.«
»Ich fange an zu fühlen, daß ich selbst auch schwach bin.«
»Warum, zum Teufel, nehmt Ihr dann nichts zu Euch? Ich habe gespeist, während jene Hohlschädel miteinander in Erwägung zogen, welcher Welt sie Euch zuweisen sollten, dieser oder einer anderen. Ich will Euch zu einem Gasthaus in der Nähe führen, wo man trefflich bedient wird.«
Er nahm den Arm des anderen und führte ihn Ludgatehill hinab in die Fleetstraße und durch einen gedeckten Gang zu einem Wirtshaus, wo ihnen sofort ein kleines Extrazimmer angewiesen wurde. Charles Darnay stärkte sich nun durch ein
gutes einfaches Essen und ein Glas guten Weines, während Carton mit seinem halb unverschämten Wesen hinter seiner eigenen Flasche Portwein ihm gegenüber Platz nahm.
»Fühlt Ihr jetzt, daß Ihr wieder der Erde angehört, Mr. Darnay?«
»In bezug auf Zeit und Ort bin ich noch schrecklich verwirrt; aber es hat sich schon so weit gebessert, daß ich mich wieder auf Erden weiß.«
»Das muß ein rechter Trost sein.«
Er sprach dies mit Bitterkeit und füllte sein Glas wieder, das sehr groß war.
»Was mich betrifft«, fuhr er fort, »so wünsche ich nichts sehnlicher, als zu vergessen, daß ich auf diese Welt gehöre; denn mir bietet sie – etwa mit Ausnahme dieses Weines – nichts Gutes und ich ihr auch nicht. In dieser Beziehung sind wir einander ziemlich gleich. Ich fange jedoch an zu glauben, daß wir beide, Ihr und ich, in keiner Beziehung große Ähnlichkeit miteinander haben.«
Noch von der Aufregung des Tags verwirrt und seinem rohen Doppelgänger gegenüber wie in einem Traume befangen, wußte Charles Darnay nicht, was er antworten sollte, weshalb er es lieber ganz unterließ.
»Ihr seid jetzt fertig mit Eurer Mahlzeit«, fuhr Carton fort. »Warum bringt Ihr nicht eine Gesundheit, einen Toast aus, Mr. Darnay?«
»Wessen Gesundheit – was für einen Toast?«
»Ei, er liegt Euch auf der Zungenspitze – es muß so sein; ich will darauf schwören.«
»Miß Manette also.«
»Ja, Miß Manette.«
Carton schleuderte, seinem trinkenden Gefährten voll ins Gesicht sehend, das geleerte Glas über seine Schulter gegen die
Wand, wo es in hundert Stücke zersplitterte, klingelte dann und ließ sich ein anderes bringen.
»'s ist was drum, im Dunkeln einer schönen jungen Dame in die Kutsche zu helfen, Mr. Darnay«, sagte er, sein neues Glas füllend. Ein leichtes Stirnrunzeln und ein lakonisches Ja war die Antwort.
»'s ist was drum, von einer schönen jungen Dame bemitleidet und beweint zu werden. Wie fühlt man sich dabei? Verlohnt sich's, um der Gegenstand solcher Teilnahme und solchen Mitgefühls zu werden, der Mühe, einen Halsprozeß durchzumachen, Mr.
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