Eine Geschichte aus zwei Städten
Carton trank den Punsch sehr schnell hinunter, Glas auf Glas, und sah dabei seinen Freund an.
»Nun weißt du alles, Sydney«, sagte Mr. Stryver. »Ich mache mir nichts aus dem Vermögen. Sie ist ein scharmantes Geschöpf, und ich habe mich entschlossen, aus Neigung zu heiraten. Im ganzen kann ich, denke ich, eine Neigungsheirat
wohl erschwingen. Sie bekommt in mir einen Mann, der bereits in ziemlich ordentlichen Verhältnissen lebt und sich immer besser macht – einen Mann von Distinktion. Es ist eine gute Partie für sie; aber sie verdient eine gute Partie. Bist du nicht erstaunt?«
Carton trank noch immer Punsch und versetzte:
»Warum soll ich erstaunt sein?«
»Die Wahl hat deinen Beifall?«
Carton, der forttrank, erwiderte:
»Warum sollte ich ihr nicht Beifall zollen?«
»Nun, du nimmst die Sache leichter auf, als ich vermutete«, sagte sein Freund Stryver, »und bist, was mich angeht, weniger geldsüchtig, als ich dachte, obschon du natürlich in der langen Zeit unserer Bekanntschaft dich überzeugt haben mußt, daß dein alter Stubenbursche ein Mann von ziemlich festem Willen ist. Ja, Sydney, ich habe meine bisherige Lebensweise mit dem ewigen Einerlei satt, und es erscheint mir als ein angenehmer Gedanke, eine Heimat zu haben, in die man sich zurückziehen kann, sobald man Lust dazu hat – andernfalls kann man ja wegbleiben. Auch fühle ich, daß Miß Manette sich in jeder Stellung gut ausnehmen, somit auch mir Ehre machen wird. Ich bin daher entschlossen. – Und nun, Sydney, alter Knabe, möchte ich noch ein Wörtchen über deine Aussichten mit dir reden. Du mußt selbst gestehen, du bist auf einem schlimmen Wege – in der Tat, auf einem sehr schlimmen Wege. Du weißt den Wert des Geldes nicht zu schätzen, lebst, als ob du nicht umzubringen seist, und wirst eines Tages arm und krank liegenbleiben. Du solltest wahrhaftig an eine Pflegerin denken.«
Die protzige Gönnermiene, mit der er dies sprach, ließ ihn zweimal so groß erscheinen, als er war, und viermal so herausfordernd.
»Laß dir daher empfehlen«, fuhr Stryver fort, »der Sache ins Gesicht zu schauen. Ich habe es in meiner Art getan, tu du es in der deinigen. Heirate. Sorge für eine Person, die auf dich acht hat. Sage mir nicht, du findest keinen Gefallen an weiblicher Gesellschaft und habest kein Verständnis, keinen Takt dafür. Besorg dir nur jemand. Sieh dich nach einer achtbaren Frauensperson mit einigem Vermögen um, etwa nach einer, die eine Wirtschaft hat oder Zimmer vermietet – und heirate sie, damit du bei ihr unterkriechen kannst. Das paßt für dich. Überleg dir's, Sydney!«
»Ich will's überlegen«, sagte Sydney.
Zwölftes Kapitel
Der Mann von Zartgefühl
Nachdem Mr. Stryver mit sich über den hochherzigen Entschluß einig geworden war, der Tochter des Doktors zu einer guten Partie zu verhelfen, nahm er sich vor, sie von ihrem Glück zu unterrichten, noch ehe er London verließ, um die langen Ferien anzutreten. Einiges Nachdenken über den Punkt zeitigte in ihm die Ansicht, daß er ebensogut die Präliminarien als bereits abgetan betrachten könne; es lasse sich dann ganz nach Muße die Übereinkunft treffen, ob er ihr seine Hand eine oder zwei Wochen vor dem Michaeli-Termin oder in den kurzen Weihnachtsferien zwischen diesem und Sankt Hilari geben solle.
Was die Aussichten seines Falles betraf, so bezweifelte er sie keinen Augenblick, sondern sah klar, welcher Urteilsspruch erfolgen mußte. Dem Gericht vorgeführt mit seinen handfesten weltlichen Gründen – die einzigen Gründe, die er je der
Beachtung würdig gehalten –, war es ein so einfacher Fall, daß sich kein schwacher Punkt darin finden ließ. Er trat selbst für den Kläger auf; seinem Beweise war so wenig anzuhaben, daß der Anwalt für die Verklagte die Sache aufgab, und das Gericht hielt es nicht einmal der Mühe für wert, sich auch nur zurückzuziehen und die Sache zu erörtern. Nachdem der Prozeß in solcher Weise zum voraus durchgefochten war, stand bei Stryver die Überzeugung fest, daß es keinen einfacheren Fall geben könne.
Demgemäß eröffnete Mr. Stryver die langen Ferien mit einer förmlichen Einladung, Miß Manette nach den Anlagen von Vauxhall führen zu dürfen; da dies abgelehnt wurde, so kam Ranelagh in Vorschlag, und als unerklärlicherweise auch daraus nichts wurde, fand er es angemessen, sich in Soho zu präsentieren und dort seinen edlen Absichten Ausdruck zu geben.
Nach Soho also machte sich Mr. Stryver vom Temple aus
Weitere Kostenlose Bücher